US-Präsident Trump befürchtet bei den kommenden Wahlen Unregelmäßigkeiten und Betrug. Er wünschte sich daher eine Verschiebung der Abstimmung über den nächsten Machthaber im Weißen Haus, rudert nun aber wieder zurück.
Washington. Betrunkene und Kinder sagen die Wahrheit, heißt es. Nun kann man schwerlich umhin, US-Präsident Donald Trump eine gewisse Infantilität sowie naturgegebene Illuminiertheit zu attestieren, weswegen einer seiner jüngsten Tweets wieder unwillkürlich treffend ausfällt. So schreibt er über die im Herbst geplante Präsidentschaftswahl, wo sich Trump der Wiederwahl und dem Kontrahenten Joe Biden stellen muss: „2020 wird die inkorrekteste und am meisten betrügerische Wahl in der Geschichte sein.“ Und er fügt hinzu: „Es wird eine große Peinlichkeit für die USA.“ Zweifellos, der anerkannte Fauxpas- und Lachnummern-Experte sowie ausgewiesene Freund des Superlativs, weiß wohl, wovon er spricht, und impliziert hier indirekt: Wenn also heuer die maximale Steigerung von mangelnder Akkuranz und Wahlfälschung zu erwarten ist, dann handelt es sich anscheinend um einen gewissen Standard bei US-Wahlen. Sie müssen demnach immer inkorrekt und betrügerisch sein – diesmal lediglich noch etwas mehr als ohnedies üblich…
Stimmen, Wahlmänner, Briefe
Da erinnert man sich flott an den ersten „Wahlsieg“ von George W. Bush (gegen Al Gore, 2000), wo erst der floridanische Gouverneur und Bruder Jeb Bush den Triumph durch Neuauszählungen ermöglichen musste. Auch ist bekannt, dass das Wahlsystem bei der Präsidentschaftswahl grundsätzlich so eingerichtet ist, dass keineswegs der Kandidat/die Kandidatin mit den bundesweit meisten Stimmen gewinnen muss: Gore hatte mehr Wähler/innen als Bush jun., und auch Hillary Clinton kam vor vier Jahren auf mehr Stimmen als Trump – aber auf weniger „Wahlmänner“. Das ist es aber nicht, worum es Trump nun geht: Er befürchtet, dass die Corona-bedingt höhere Anzahl an Briefwahlstimmen zu vermehrten Unregelmäßigkeiten führen würde. Daher schlug er im selben Tweet vor, die am 3. November vorgesehene Wahl zu verschieben – bis die Menschen wieder ordnungsgemäß und sicher zur Wahlurne bzw. zur Wahlmaschine schreiten könnten, wie er meint. Nach erheblichem Widerspruch nicht nur der Demokratischen Partei, sondern auch aus den eigenen Reihen relativierte Trump inzwischen: Er wolle keine Verschiebung, sorge sich aber trotzdem um mögliche Manipulationen.
Pandemie und Wirtschaftskrise
Der Hintergrund des zwischenzeitlichen präsidentiellen Wunsches beruht auf mehreren Faktoren: Tatsächlich ist zu erwarten, dass die Wähler/innen der Demokraten eher zur Briefwahl neigen würden als jene der Republikaner. In Wirklichkeit sind es aber die allgemeinen Bedingungen, die Trump um seine zweite Amtszeit zittern lassen: Die Pandemiesituation ist in den USA durch eigenes Verschulden außer Kontrolle, die Proteste gegen Rassismus und Ungerechtigkeit reißen nicht ab und vor allem steht ein einzigartiger, massiver Konjunktureinbruch bevor, d.h. eine gewaltige Wirtschaftskrise. Vor allem Letzteres kann einen US-Präsidenten rasch den Kopf kosten: George Bush sen. sorgte mit dem „Sieg“ im „Kalten Krieg“ einst für eine welthistorische (vorläufige) Wende, verlor aber dennoch die Wahl 1992. Sein Gegner Bill Clinton, sonst auch nicht gerade eine philosophische Leuchte, brachte es damals auf den Punkt: „It’s the economy, stupid!“
Verschiebung höchst unwahrscheinlich
Dass es tatsächlich zu einer Wahlverschiebung kommt, ist nicht allzu wahrscheinlich, denn dieser müsste der Kongress zustimmen. Zwar verfügen die Republikaner, die aber auch nicht von Trumps Idee überzeugt sind, über eine Mehrheit im Senat, im Repräsentantenhaus gibt es jedoch einen Überhang an Abgeordneten der Demokraten – diese werden sich kaum die gegenwärtig gute Gelegenheit nehmen lassen wollen, Trump eventuell durch Biden zu ersetzen. Drei Szenarien sind allerdings theoretisch denkbar: Das erste wäre eine weitere Verschlimmerung der Corona-Situation, in der eine geregelte Wahldurchführung tatsächlich, nach objektiven Kriterien kaum noch gewährleistet wäre – dann bliebe auch den Demokraten keine Wahl. Außerdem, dies zweitens, könnte Trump eine außenpolitische Situation herbeiführen, die derart krisenhaft und konfliktbehaftet ist, dass an eine Wahl ebenfalls nicht zu denken wäre: Diese Möglichkeit läge in einer weiter verschärften Konfrontation mit China, die von der Trump-Administration ohnedies permanent mit diplomatischen und wirtschaftlichen Angriffen forciert wird – eine direkte militärische Auseinandersetzung erscheint früher oder später unausweichlich. Das wäre für die Welt freilich das Fatalste, was geschehen könnte, doch ist hierfür wohl die verbliebene Zeit zu knapp. Diese beiden Möglichkeiten sind nicht allzu realistisch.
Keine Wahl im Imperialismus
Am wahrscheinlichsten ist, dass die Wahl wie geplant durchgeführt wird und dass Trump im Falle einer Niederlage nicht bereit ist, diese anzuerkennen. Er würde, wie nun vorbereitet, von Fehlern und Betrug sprechen und die Korrektheit des Ergebnisses in Zweifel ziehen. Jemand wie Trump, der sich für den großartigsten Präsidenten seit George Washington hält, tritt nicht einfach so ab. Das Resultat wäre eine massive politische Krise in den USA und ihres bürgerlich-demokratischen Systems. Verbunden mit CoViD-19-Pandemie, kapitalistischer Krise und internationalen Konflikten schüfe dies eine Aussicht, die erhebliche Verwerfungen implizieren könnte. Man möchte sagen: Schade, dass es in den USA keine starke revolutionäre Partei der Arbeiterklasse gibt, die in der Lage wäre, dies zu nützen. Tatsächlich gibt es in den USA aber eben ein Zwei-Parteien-System mit Demokratieillusion – und die beiden Parteien sind bei präziser Betrachtung nicht einmal besonders unterschiedlich, sie werden lediglich von verschiedenen Fraktionen des Monopolkapitals finanziert. Es hat letztlich noch selten einen substanziellen Vorteil generiert, wenn ein Demokrat im Weißen Haus saß – dann sind es eben Ausbeutung und Unterdrückung, Rassismus und Repression, Interventionismus und globaler Krieg mit freundlichem Gesicht und schönen Worten. Es gibt keinen progressiven und sozialen US-Imperialismus – auch nicht mit Joe Biden. Und übrigens ebenso wenig mit Kanye West.
Quelle: ORF