Zwanzig europäische Staaten, darunter Österreich, drängen auf erleichterte Rückführungen nach Afghanistan – trotz der anhaltend unsicheren Lage im Land. Gespräche mit den Taliban laufen bereits, doch Menschenrechtsorganisationen warnen vor Abschiebungen in ein Umfeld, das weiterhin von Gewalt und Repression geprägt ist.
Wien/Brüssel. Zwanzig europäische Staaten, darunter auch die BRD und Österreich, fordern von der EU-Kommission neue Möglichkeiten, um Afghaninnen und Afghanen ohne Aufenthaltsrecht in ihre Heimat zurückzuschicken. Das geht aus einem Schreiben hervor, das auf Initiative Belgiens entstand und am Samstag von der niederländischen Regierung veröffentlicht wurde.
Die Regierungen beklagen darin, dass im vergangenen Jahr mehr als 22.000 afghanische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in der EU eine Rückführungsentscheidung erhalten hätten, tatsächlich aber nur 435 Personen zurückgekehrt seien. Rückführungen – freiwillige wie zwangsweise – sollten daher als „gemeinsame Verantwortung“ auf europäischer Ebene behandelt werden.
Ziel der Unterzeichner ist es, neue Wege zu prüfen, um Abschiebungen in das von den Taliban kontrollierte Afghanistan zu ermöglichen. Vorrangig betroffen seien laut dem Schreiben Personen, „die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit darstellen“.
Neben Österreich und der BRD gehören unter anderem Bulgarien, Finnland, Griechenland, Irland, Italien, Litauen, Luxemburg, Malta, Polen, Schweden, Tschechien, Ungarn, Zypern sowie das Nicht-EU-Land Norwegen zu den Unterzeichnern. Norwegen ist zwar kein Mitglied der Europäischen Union, arbeitet aber im Rahmen des Schengen-Raums und über die EU-Asylagentur eng mit Brüssel zusammen.
Die BRD steht derzeit in Kontakt mit Vertretern der Taliban, um mögliche Abschiebungen zu verhandeln. Nach Angaben von CSU-Politiker Alexander Dobrindt seien die Gespräche bereits weit fortgeschritten. Dass Berlin über Rückführungen verhandelt, ist umstritten: Offizielle diplomatische Beziehungen zur afghanischen Regierung bestehen nicht. Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 ist Afghanistan international isoliert, nicht zuletzt wegen der massiven Einschränkung der Frauenrechte und des repressiven Vorgehens gegen Oppositionelle und Medien. Dennoch kam es mit Unterstützung Katars bereits zweimal zu Abschiebungen aus der BRD.
Auch Österreich drängt auf Abschiebungen, insbesondere bei straffälligen oder abgelehnten Asylwerberinnen und Asylwerbern. Für Aufsehen sorgte im September der Besuch afghanischer Regierungsvertreter im Wiener Innenministerium. Laut dem ÖVP-geführten Ressort seien Gespräche mit Kabul notwendig, um eine praktische Grundlage für Rückführungen zu schaffen.
Trotz dieser diplomatischen Annäherungen bleibt die Lage in Afghanistan hochriskant. Menschenrechtsorganisationen berichten weiterhin von willkürlicher Gewalt, politischer Verfolgung und fehlender Rechtssicherheit. Dass europäische Staaten dennoch über Abschiebungen in dieses Umfeld verhandeln, wirft grundsätzliche Fragen nach der Verantwortung der stilisiert „menschlichen“ EU im Umgang mit Schutzsuchenden auf.
Quelle: derStandard