Nach der neuerlich vorgezogenen Knesset-Wahl fehlt sowohl Netanjahu als auch seinen Gegnern eine tragfähige Regierungsmehrheit. Die Kommunistische Partei und ihre Partner konnten sich behaupten.
Tel Aviv. Nach der vierten Parlamentswahl binnen zwei Jahren am 23. März 2021 gibt es in Israel abermals ein Patt im Kräfteverhältnis. Premierminister Benjamin Netanjahu konnte mit dem rechtskonservativen Likud rund 24 Prozent der Stimmen und 30 Mandate erreichen, womit man trotz Verlusten deutlich stärkste Kraft bleibt – dies dürfte auch der erfolgreichen CoViD-19-Impfkampagne zu verdanken sein. Die Knesset hat freilich 120 Sitze, womit eine Regierungsmehrheit 61 Mandate benötigt – und das geht sich für Netanjahu nicht aus: Gemeinsam mit seinen Blockparteien (ultraorthodoxe und religiös-rechtszionistische Kräfte) kommt man nach vorläufigen Resultaten auf bestenfalls 59 Parlamentssitze. Aber auch die Opposition hat gewissermaßen keine Mehrheit, denn sie ist ideologisch hoffnungslos zersplittert – jene Parteien, die mehr oder minder realistisch in einer Anti-Netanjahu-Koalition zusammenzufassen wären, stellen auch höchstens 56 Parlamentarier.
Schwierige Regierungsbildung ohne Perspektive
Das bedeutet, dass es zum Zweck einer Regierungsbildung ein Ausscheren aus den bisherigen Blöcken bzw. eine deutliche Wende in der einen oder anderen Positionierung bräuchte. Ironischer Weise könnte sogar eine Situation eintreten, wo Netanjahu um arabisch-nationalistische Abgeordnete buhlen muss. Dass er um jeden Preis im Amt bleiben will, ist klar, denn davon ist auch seine Immunität gegenüber offenen Korruptionsprozessen abhängig. Eine stabile Regierung ist aber sowieso eine Illusion: Hinter dem Likud kam die liberale Liste „Jesch Atid“ („Es gibt eine Zukunft“) auf 14 Prozent und 18 Mandate. Die restlichen 72 Knesset-Sitze verteilen sich auf gleich zehn weitere Parteien bzw. Listen, die jeweils fünf bis acht Parlamentarier stellen werden. Und somit ist klar: Das von vielen erwartete Ergebnis der vierten Wahl binnen zwei Jahren könnte tatsächlich eine fünfte Wahl sein. Die Wahlbeteiligung war jedoch schon diesmal äußerst gering und könnte weiter sinken.
Sozialdemokraten dümpeln dahin, Kommunisten behaupten sich
Links der Mitte konnte sich die Sozialdemokratie ein wenig erholen: Die Arbeitspartei („Awoda“) und Meretz repräsentieren zusammen genommen rund zehn Prozent der Stimmen und erhalten jeweils sieben Sitze in der Knesset. Vor allem für die Awoda ist das jedoch beschämend, denn sie war in der Vergangenheit staatstragende Partei und stellte mit Golda Meir, Jitzchak Rabin, Schimon Peres oder Ehud Barak prominente Regierungschefs. – Weiter links von den beiden sozialdemokratischen Fraktionen kandidierte die marxistisch-leninistische Kommunistische Partei Israels (KPI) bzw. deren Bündnis Chadasch abermals mit der „Vereinten Liste“, der neben den Kommunisten auch arabisch-sozialistische und arabisch-säkulare Kräfte angehören: Sie erreichte voraussichtlich ziemlich genau fünf Prozent der Stimmen und beachtliche acht Mandate. Dies ist zwar ein gewisses Minus gegenüber den letzten Wahlen, allerdings sind seither auch Bündnispartner abgesprungen. Die Abgeordneten der KPI werden weiterhin jene Stimmen im israelischen Parlament sein, die sich unbeirrt für Frieden, Gleichberechtigung, die Arbeiterklasse und den Sozialismus einsetzen.
Quelle: Der Standard