Stadt Wien und Wirtschaftskammer ließen ein Gutachten zum umstrittenen Lobautunnel in Auftrag geben. Ergebnis wie bestellt: Das Milliardenprojekt nicht umzusetzen, würde gegen nationales und EU-Recht verstoßen – was wohl eher etwas über diese Rechtssysteme als über die Sinnhaftigkeit der Straßenverbindung aussagt.
Wien. Während die Wiener SPÖ ihre Anwälte für Androhung von Klagen gegen Minderjährige losschickte, steckte die Stadt Wien (also eh auch die Wiener SPÖ) das Steuerzahlergeld in ein Gutachten zum Lobautunnel. Denn ganz allein auf die Polizeihundertschaften zum gewaltsamen Räumen von Protestcamps will man sich nicht verlassen. Immerhin schauen die Regierungs-Grünen zwar bei wirklich jeder Schweinerei auf Bundesebene zu bzw. stecken mittendrin; allein beim Projekt Nordostumfahrung packte die (irgendwie) zuständige Ministerin Gewessler der Mut und sie blockierte überraschend den Lobautunnel.
Das war für die Wiener SPÖ zu viel. Die mediale Diffamierungskampagne gegen die Tunnelgegner wurde einen Ton schriller gestellt, zugleich setzt man in trauter Eintracht mit der schwarzen Wirtschaftskammer, angestachelt von der FPÖ, auch auf gerichtlicher Ebene alle Hebel in Bewegung. Eine demonstrative Mobilisierung, die die Sozialdemokratie bei sozialen Themen, Mieterschutz, Arbeitslosengeld, Finanzierung des Gesundheitssystems – ganz zu schweigen vom Umwelt- und Klimaschutz – in den letzten Jahrzehnten jedenfalls nicht an den Tag gelegt hat.
Sima petzt in Brüssel
Nun liegt ein Gutachten des Wirtschaftsrechtlers Christian Onz vor, das angesichts der Auftraggeber wenig überrascht. Klimaziele hin oder her, die Absage Gewesslers an den Lobautunnel sei ein „klarer Gesetzesbruch“. Neben der Kompetenzfrage, ob die „Klimaschutzministerin“ tatsächlich gegen den Willen einflussreicher Interessensgruppen ein Großprojekt stoppen darf, habe die Stadt außerdem Schadenersatzanspruch für bisher geleistete Aufwendungen. Und schließlich verstoße es gegen EU-Recht, die S1 als Ergänzung des hochrangigen Verkehrsnetzes nicht bis 2030 zu bauen. Die frühere Umweltstadträtin Sima (SPÖ) ist sich nicht zu schade dafür, im Sinne des großen Betonierens eine Beschwerde bei der EU-Kommission einzuleiten. Anders formuliert: Sie löst ein Verfahren aus, das Österreich teuer zu stehen kommen könnte.
Nun steht dem Gutachten der Wiener SPÖ ein anderslautendes Gutachten aus Gewesslers Ministerium gegenüber. Wie der Streitfall letztinstanzlich ausgehen würde, weiß man nicht – nur, dass wohl weitere teure Gutachten, Sachverständige, Studien und Öffentlichkeitskampagnen beider Seiten uns allen teuer kommen würden. Nun kann man durchaus mit guten Argumenten die Meinung vertreten, dass eine Alternative für den Transit-Schwerverkehr abseits der Südosttangente nötig ist. Doch die Sozialdemokratie der Bundeshauptstadt verhindert jede öffentliche Sachdiskussion zu diesem Thema; sie verklagt und diffamiert jene, die sich eine andere Meinung erlauben, stellt sie als dumme Gesetzesbrecher da und lässt jugendliche Aktivisten von der Polizei aus ihren Camps schmeißen. Sie versperrt sich ebenso einer demokratischen Entscheidung der Frage, sondern klagt lieber in Brüssel, bevor sie die betroffenen Wienerinnen und Wiener abstimmen lässt. Und schließlich zeigt ihr Schulterschluss mit der Wirtschaftskammer, dass für sie die kommerziellen Interessen entscheiden.
Belastungen für uns sind nie rechtswidrig
Höhere Spritkosten, Fahrverbote, steigende Steuern, am besten Scham für Flugreisen und Fleischkonsum: Der einzelne Lohnabhängige soll für den Klimaschutz herhalten, wenn nicht für seinen noch vorhandenen Lebensstandard büßen. Für uns gibt es kein Prinzip des Verlassens auf frühere Gegebenheiten oder Versprechungen. Ob heute gekaufte Fahrzeuge oder Heizungssysteme in 5 oder 10 Jahren noch nutzbar sind, weiß niemand. Gegen Reallohnverluste gibt es auch keine EU-Verordnung – aber scheinbar ist es im vitalen Interesse Europas, dass eine Autobahn durch ein Naturschutzgebiet gebaut wird, weil die Wirtschaft „Verlässlichkeit“ braucht. Das und willfährige Lakaien in der Politik.
Quelle: ORF