Ein Nachruf von Otto Bruckner, stellvertretender Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)
Hans Modrow, der letzte Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), der aus den Reihen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) kam, ist am 11. Februar 2023 im Alter von 95 Jahren gestorben.
Im Rahmen meiner Tätigkeit als Bundessprecher der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) in den Jahren 1991 bis 1994 hatte ich zwei Mal Gelegenheit, mit Genossen Modrow zu sprechen. Er war im persönlichen Umgang ein Gentleman der alten (kommunistischen) Schule: höflich, zuvorkommend, reflektiert und nachdenklich.
Als Erster Sekretär der SED in Dresden hatte er schon früh mit der „Demokratiebewegung“ in der DDR Bekanntschaft gemacht, im Guten wie im Schlechten. Da war auf der einen Seite eine große Masse an Menschen in Bewegung, die Veränderung einforderten, nicht jedoch das Ende der sozialistischen Gesellschaft als ihr Ziel ansahen. Und da waren die vom Westen gesteuerten Einpeitscher, die das Ende des Sozialismus schon nicht mehr erwarten konnten. Dresden war der Brennpunkt von Demonstrationen und „runden Tischen“, deren Gestaltung auch Hans Modrow ein Anliegen waren. Er stellte sich als Parteisekretär den Diskussionen und war keineswegs naiv. Er konnte die Konterrevolutionäre unter den nach Veränderung Schreienden durchaus benennen, glaubte aber, sie auf ihre Verantwortung für die Gesellschaft festnageln zu können: „…wer so viel Vertrauen auf sich ziehen kann, daß er mit Aufrufen für Kundgebungen Zehntausende mobilisiert, muß wissen, daß er mit dem Vertrauen nicht Schindluder spielen darf“, sagte er in einer Versammlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) anlässlich dessen Umbenennung in „Amt für nationale Sicherheit“ im November 1989. Sein Ziel war es – jedenfalls damals noch – durch aktive Teilnahme an den Disputen über Veränderungen die Menschen zu überzeugen, dass selbst der schlechteste Sozialismus – was die DDR keineswegs war – für die breite Masse der Bevölkerung immer noch eine bessere Lebensform darstellen würde als der reale Kapitalismus.
Seine Rolle wandelte sich, als er zum (vorletzten) Ministerpräsidenten der DDR gewählt wurde. Modrow hatte an der Seite des Parteivorsitzenden Egon Krenz die Übergabe der DDR an die imperialistische BRD zu administrieren. Dabei wird ihm heute noch hoch angerechnet, dass er ein Gesetz initiierte, das die Enteignung der kleinen Leute bei der Restitution von Besitztümern der DDR an die vormaligen westdeutschen Besitzer verhinderte. Er schuf aber auch die „Treuhandanstalt“, die später das Volksvermögen der DDR verschleuderte, die Produktionsbetriebe zerstörte und statt der vorher versprochenen „blühenden Landschaften“ entindustrialisierte Landstriche schuf, aus denen die jungen Menschen so schnell wie möglich weg wollten. Auch die weitgehende Enteignung der KPÖ ist dieser Institution zu verdanken.
Modrow vorzuwerfen, dass er die DDR „verraten“ hätte, ist allerdings eine Fehleinschätzung der Möglichkeiten, die er noch hatte. Die Konterrevolution war bereits in vollem Gange, als er zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, die SED hatte sich unter Federführung von Egon Krenz durch die Auflösung des Zentralkomitees und der Kriminalisierung der langjährigen Staats- und Parteiführung bereits selbst zerstört und war nicht mehr willens und in der Lage, dem „Vereinigungsprozess“ noch etwas Entscheidendes entgegenzusetzen.
Nach dem kalten Anschluss der DDR an die BRD war Hans Modrow politisch weiterhin in der SED tätig, die zur SED-PDS, zur PDS und schließlich zur Partei Die Linke wurde. Modrow war sowohl Abgeordneter im deutschen Bundestag als auch im Europaparlament.
Seit Jahrzehnten war er Vorsitzender des „Ältestenrates“ der Partei, einer Einrichtung, die dem Parteivorstand Ratschläge geben sollte. In den letzten Jahren wurde Hans Modrow in dieser Funktion zum Mahner, der immer mehr Unbehagen mit der Politik seiner Partei artikulierte. Im März 2022 wurde er vom Parteivorstand schließlich in dieser Funktion auf schäbige Art und Weise abgesetzt, weil er sich erlaubt hatte, eine dem Mainstream der NATO-Freunde, der auch im Parteivorstand der Partei Die Linke mehrheitlich Einzug gehalten hatte, widersprechende Haltung zur Ursache des Ukrainekriegs einzunehmen. „Die Frage, wie weit der Krieg in der Ukraine nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als ein innerer Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Ost-Staaten und faschistischen Elementen im Westen der Ukraine darstellt, steht im Raum“, schrieb Modrow.
Seine Prinzipienfestigkeit, sich dem Mainstream zum Thema Ukraine zu verweigern, krönt sein Lebenswerk. Am Ende ist er als aufrechter Sozialist gestorben.