Seit 2018 wurde der österreichischen Exekutive in mehr als 350 Fällen eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung zur Last gelegt. Kein einziger Polizist verlor deshalb dauerhaft seinen Posten. Der Prügelfall, der aktuell zu Suspendierungen geführt hat, offenbart ein System aus Korpsgeist, Einschüchterung und Vertuschung.
Wien. Wie aus einer aktuellen Anfragebeantwortung des sichtlich überforderten Innenministers Karl Nehammer (ÖVP) hervorgeht, sind Folter- und Misshandlungsvorwürfe gegen die Polizei an der Tagesordnung – Konsequenzen jedoch extrem selten. In den letzten zweieinhalb Jahren gab es insgesamt 452 entsprechende Meldungen, davon immerhin 350 selbst aus Sicht der Behörden mit „Anfangsverdacht“, also klaren Anhaltspunkten. Dabei ist davon auszugehen, dass viele Fälle aus Furcht vor absehbaren Gegenanzeigen (wegen übler Nachrede, Verleumdung etc.) nicht gemeldet werden – oder weil die Aussicht, mit Beschwerden überhaupt etwas zu erreichen, gleich null ist.
Denn die hunderten Folter- und Misshandlungsvorwürfe führten zu exakt drei vorläufigen Suspendierungen (wovon eine in einen „Verweis“ umgewandelt wurde) und 2.000 Euro Geldstrafe. Sprich: Selbst gut dokumentierte oder gar gerichtlich geahndete Fälle von Polizeigewalt – man denke an jenen Klimaschutzaktivisten, dessen Kopf unter ein anfahrendes Polizeiauto gedrückt wurde – haben für die Verantwortlichen so gut wie nie spürbare Konsequenzen, allenfalls kommt die Republik für Entschädigungszahlungen auf.
Scharfe Schüsse als „internes Signal“
Dass die türkis-grüne Bundesregierung mit einer geplanten eigenen Behörde Misshandlungsvorwürfe untersuchen will, ist allenfalls als Alibi-Aktion zu verstehen. Denn gerade der Innenminister selbst stärkte in der Vergangenheit wiederholt verhaltensauffälligen Exekutivbeamten demonstrativ den Rücken. So etwa nach der Schussabgabe eines Polizisten, der vermeintliche „Corona-Sünder“ im Wald ertappt hatte. Nehammer verurteilt den Fall bis heute nicht und spricht wenig glaubwürdig von „internen Signalschüssen“ – als sei die geladene Waffe das beste Kommunikationsmittel, um Kollegen herbeizurufen.
Aktuelle Suspendierungen: Ablenkungsmanöver?
Ausgerechnet am selben Tag, an dem Nehammer die skandalöse Statistik veröffentlichte, wurde die Suspendierung von acht Polizisten bekannt gegeben. Hintergrund ist das auf Videoaufnahmen festgehaltene, hemmungslose Treten und Schlagen eines wehrlosen Tschetschenen im Jänner 2019 (!) durch mehrere Polizeibeamte. Der Fall verdeutlicht das System hinter vertuschter Polizeigewalt: Die Beamten hatten ihre Prügelorgie nicht im Bericht der Amtshandlung ausgelassen, später alles abgestritten und sich gegenseitig gedeckt: Sie hatten den Tschetschenen anschließend auch wegen Verleumdung geklagt, wie Ö1 berichtet. Das Überwachungsvideo konnte offenbar über ein Jahr geheim gehalten werden und wurde durch eine undichte Stelle, nicht etwa durch aufklärungswillige Behörden, bekannt. Dass die nur scheinbar konsequenten Suspendierungen gerade jetzt erfolgen, könnte zwar ein Zufall sein – Ergebnis ist jedenfalls, dass so die hunderten Missbrauchsvorwürfe rasch aus den Schlagzeilen der großen Medien verschwanden.
Quellen: Anfragebeantwortung/Kurier/Neue Vorarlberger Tageszeitung