„Gerne befassen wir (…) uns aber mit jenen Studien und den eventuell darin enthaltenen neuen Erkenntnissen, auf deren Basis Bundeskanzler Kurz seine Aussagen gemacht hat, wenn er sie uns zur Verfügung stellt“, meinen die führenden Klimaforscher Österreichs; Des Bundeskanzlers Äußerungen stünden in Widerspruch zu internationalen und nationalen wissenschaftlichen Studien.
Wien/Bregenz. Für Diskussionsstoff sorgt ein Interview, das Bundeskanzler Sebastian Kurz den Vorarlberger Nachrichten gegeben hat. Er äußerte die Befürchtung, dass „man irgendwie leben könnte wie im vergangenen Jahrhundert.“ Was er damit meint, bleibt unklar, ebenso, welchen Zeitabschnitt des vorigen Jahrhunderts er meint, ist es doch das Jahrhundert des rasantesten technologischen Fortschritts gewesen, den man sich nur vorstellen kann. Es war aber auch das Jahrhundert des barbarischen faschistischen Eroberungsfeldzuges und des Holocausts, also der industrialisierten Menschenvernichtung. Aber das wird er nicht gemeint haben. Also lassen wir die konkreten Fragen nach der Absicht des Kanzlers, denn in Geschichte wird er wohl kaum belesener sein als in anderen Disziplinen.
Ins vorige Jahrhundert oder gar in die Steinzeit?
Er spricht aber im selben Atemzug noch schlimmere Befürchtungen aus, nämlich, dass jemand die Absicht haben könnte, uns wieder so leben zu lassen, wie in der Steinzeit. Also wirklich!
Die ganze Aufregung des jungen Kanzlerdarstellers rührt daher, dass das Parlament diese Woche mit großer Mehrheit, also auch mit den Stimmen seiner ÖVP-Abgeordneten, die seiner Ansicht nach wohl geistiger Umnachtung anheimgefallen sind, die Aufforderung an Umweltministerin Gewessler gerichtet hat, ein konkretes Schnellstraßenbau-Vorhaben in Vorarlberg zu evaluieren. Gewessler hatte das auch für andere geplante Großprojekte im Straßenbau angekündigt, und sich damit schon den Zorn der ÖVP Niederösterreich und der SPÖ Wien eingehandelt.
Kurz meinte, mit technologischem Fortschritt könne „das Klima“ gerettet werden. Dabei geht es nicht um die Rettung des Klimas, sondern darum, die Erderwärmung zu stoppen und im Idealfall irgendwann sogar einmal umzukehren.
Das Climate Change Centre Austria (CCCA), das Netzwerk der österreichischen Klimaforscherinnen und ‑forscher, widersprach Kurz am Donnerstag in einer Aussendung mit deutlichen Worten. Man nehme zwar „mit Freude“ zur Kenntnis, „dass der Herr Bundeskanzler nun inhaltlich in die Klimadebatte einsteigt“. Seine Aussagen in Bezug auf die Klimakrise stünden jedoch in Widerspruch zu internationalen und nationalen wissenschaftlichen Studien.
Wissenschaft und kritische Jugendliche nichts für türkisen Kanzlerverein
Nach diesen stünde vielmehr fest, dass Technik und Innovation alleine die Klimakrise nicht lösen können, sondern zusätzlich soziale Innovation und vor allem geeignete politische und rechtliche Rahmenbedingungen notwendig sind. „Gerne befassen wir und die CCCA Wissenschafter_innen uns aber mit jenen Studien und den eventuell darin enthaltenen neuen Erkenntnissen, auf deren Basis Bundeskanzler Kurz seine Aussagen gemacht hat, wenn er sie uns zur Verfügung stellt“, hieß es weiter.
Ein Kanzler, der durch die Bundesländer reist, um den schwarzen Landesfürsten nach dem Maul zu reden, braucht keine Wissenschaft. Er braucht nur die Gewissheit, dass die Landeshauptleute der ÖVP hinter ihm stehen und ihm die nächste Wahl sichern. Und seine Sponsoren aus der Industrie- und Spekulantenwelt brauchen gerade so viel Klimaschutz, wie der Staat bereit ist, zu bezahlen, ohne dass ihre Profite geschmälert werden.
Dass Kurz so nebenbei die zigtausenden Jugendlichen, die seit Jahren für eine Änderung der Klimapolitik auf die Straße gehen, quasi als Idioten hinstellt, die uns in die Steinzeit zurückversetzen wollen, ist nur eine Randerscheinung. Kritische Jugendliche sind auch nichts für den türkisen Kanzlerverein, die könnten ja mit Wissenschaft daherkommen.
Quelle: Vorarlberger Nachrichten/MSN-Kurier