Ein Kommentar von Tobia Carfora, Vorsitzender der KJÖ in Tirol
Der Swarovski-Clan gehört zu den reichsten Familien Österreichs, ihr Vermögen wird auf rund 4,2 Milliarden Euro geschätzt. Medial steht die Familie schon seit März in einem schlechten Licht da: Schnell verbreitete sich die Meldung, dass großangelegte Kündigungen trotz Coronakrise erfolgen würden. Auch die Kampagne #TeamÖsterreich scheint den Clan nicht besonders tangiert zu haben. Nun sorgte ein Instagram-Posting der Moderatorin/unabhängigen Künstlerin Victoria Swarovski für neuen Unmut: Es zeigte die Familie im Luxusurlaub in Marbella (Spanien). Auslöser des darauffolgenden medialen Shitstorms war ausgerechnet Willi Mernyi.
„Gestern angekündigt das [sic] 1.800 MitarbeiterInnen den Job verlieren werden. Heute Posting vom Swarovski Luxus- Familienurlaub in Marbella! Zum speiben!“, kommentiert Willi Mernyi, einerseits fast schon pikiert, andererseits von den vielen Neuigkeiten zwischen gestern und heute überfordert. Wird er diese ganze angestaute Wut händeln können oder wird er zum Äußersten greifen müssen? Und worin bestehen denn tatsächlich die äußersten Mittel eines Arbeiteraristokraten? Jedenfalls drängen ihn die äußeren Umstände dazu, seiner Empörung Luft zu machen: Es ist in der Tat „zum Speiben“. Aber so weit wird es glücklicherweise nicht kommen. Es müsste sich schon eine sehr glückliche Schicksalsfügung ergeben, dass der Bundesgeschäftsführer der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) einmal ein Versprechen einhält.
Zu den Fakten
Swarovski hat vor und während der Covid19-Krise Stellenstreichungen angekündigt. Und damit nicht genug, Kündigung und Delokalisierung haben bei Swarovski Tradition. Seit 2008 wurden etwa 2000 Jobs von der Konzernleitung vernichtet. In der Produktion hatte Swarovski zuletzt die Kurzarbeit bis Ende September verlängert, trotzdem sollen nun insgesamt 1800 Stellen gekürzt werden. D.h. auch, dass die von der Bundesregierung, dem ÖGB und der WKÖ angestrebten Kurzarbeitmaßnahmen letztlich nicht dazu dienen, Arbeitslosigkeit zu verhindern, sondern nur dazu, die Profite der Konzerne weiterhin zu sichern. Die Gewerkschaft PRO-GE konnte die Maßnahmen indes moralisch und sozialpolitisch nicht nachvollziehen. Robert Koschin, Landessekretär der PRO-GE-Tirol, stellte ebenfalls die Frage der Ethik und operierte mit Begriffen wie „moralisch bedenklich“, „Kaltschnäuzigkeit“, enttäuschte „Hoffnung“ und „menschenunwürdig“. Gefordert wird eine Rückzahlung der Kurzarbeitsmillionen an das AMS. Und dabei blieb es auch.
Ein Sprecher der GO Tirol der Partei der Arbeit sagte diesbezüglich schon am 22. Juni ganz richtig: „Die Gewerkschaft ist nicht in der Lage, die Rechte der Arbeiternehmer zu verteidigen, dies wäre nur in Konfrontation mit dem Kapital möglich, eine kämpferische Front der Arbeiterinnen und Arbeiter wäre dafür notwendig.“ Die Antwort von Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbossen aber lautet anders. Anstatt auf konkrete Kampfmaßnahmen zu setzen, übt man sich in moralischer Belehrung und Entfachen ziviler Empörung. Die Wahrheit aber lautet, dass die Familie Swarovski unabhängig davon, ob sie es auf Fotos festhält, in den Urlaub fährt, während andere dafür wahlweise arbeiten oder entlassen werden.
Empören, um nicht handeln zu müssen
Was uns Mernyi hier also in seiner gewohnten Wassersuppensentimentalität präsentiert, ist waschechte Indignation, eine Indignation, zu der nur die Bourgeoisie unter sich und im gegenseitigen Austausch imstande ist. Für die Arbeiteraristokratie stellt dieser Schritt immer gewissermaßen eine Art Erstürmung des Himmels für sich dar: Man will sich nicht mehr allein damit zufriedengeben, (auf Kosten der stellvertretenen Arbeiterschaft) am Futtertrog des Monopolkapitals mitzunaschen, sondern möchte am Tisch auch mal mitsprechen dürfen, dann und wann einen Toast ausbringen oder aber mit Verlaub eine kritische Frage stellen. Eine Frage zum Nachdenken, versteht sich. Weit abseits von einer der Realität entsprechenden Ausgangslage betreten wir hier das Reich der rhetorischen Fragen in metaphysischen Bereichen von „Wie ist das nur möglich?“, „Wie kann man nur so sein?“ und „Was, wenn das alle so machen würden?“. Wichtig dabei ist die Position des Sprechers – er wähnt sich im Gleichstand, auf ganz derselben Ebene wie seine ultrareichen Gegenstücke. Das liegt daran, dass Mernyi so oft und so lange die Mär von der Sozialpartnerschaft wiedergekäut hat, bis er sie selber verinnerlichte. Anders ausgedrückt: Inzwischen glaubt er selbst daran, was er der Arbeiterklasse jahrelang vorgegaukelt hat. Deshalb braucht man auch nicht zu glauben, seine Emotionen wären allzu sehr geheuchelt – er ist wirklich konsterniert, weiß aber dennoch um seine moralische Überlegenheit. Nicht umsonst verlässt er im Anschluss die Ebene diplomatischen Anstands sowie öffentlichen Geschmacks und benutzt einen genauso brachialen wie dialektalen Ausdruck wie „speiben“. Man hat ihn ja geradezu dazu gezwungen!
Die Welt des Scheins
Seine Empörung erreicht ihr Ziel. In Victoria S. hat Mernyi jemanden gefunden, der ihm im Geltungsbedürfnis und im Rampensau-Gehabe durchaus ebenbürtig scheint. In einem Moment ungeheurer Geistesschärfe nimmt Victoria S. ihr Instagram-Posting zurück und postet ein neues, mit mehr Bekleidung (zum Zwecke der Seriosität) und mit mehr Bergen im Hintergrund (um positiv besetzte Heimatgefühle zu wecken). Mit Sonnenbrille wirkt sie nachdenklich. Alles in allem ein sehr schlauer Zug. Überdies distanziert sie sich quasi vom Mutter- und-Vater-Konzern: „Nachdem ich als Künstlerin meine eigenen Wege unabhängig beschreite, kann ich die Entscheidungen der Geschäftsführung, egal welcher Art, nicht beeinflussen und bedauere die aktuelle Entwicklung zutiefst.“ Auch über die Scheinwelt kristallinen Kitschs, die sich Victoria S. je nach Gelegenheit zurechtstutzt, könnte man sich nun auslassen, aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist vielmehr, dass die ganze Angelegenheit keinen Deut in der Realität verändert hat. Das Foto der Swarovski-Familie in Marbella entspricht eben der Realität: Ein Leben in Saus und Braus und auf Kosten der arbeitenden Menschen, die man alle Jahre wieder der existenziellen Angst vor Kündigung aussetzt, bis es dann auch wirklich passiert. In diesem Fall ganzen 1800 Arbeiterinnen und Arbeitern. Anstatt alles in Bewegung zu setzen, das Sein zu verändern, wird erfolgreich der Schein bekämpft. Die Sozialdemokratie steht seit inzwischen mehr als hundert Jahren dafür, im Zeichen des Reformismus Symptome zu bekämpfen, anstatt die Krankheit an der Wurzel zu packen und kompromisslos auszureißen. Da ihr beides nicht mehr gelingt, ist die Taktik die, dass man Fotos, die diese Symptome abbilden, auf Facebook kritisiert und für kurzlebige mediale Entrüstung sorgt. Und Victoria S. hat das getan, was jeder nüchterne PR-Manager ihr geraten hätte: Sich so sauber und medienwirksam als möglich aus der Affäre ziehen.
Nun, da der wütende Cerberus wieder mit Honigkuchen besänftigt sorglos einschlummert, wollen wir alle hoffen, dass der strafende Zorn des Bundesgeschäftsführers der FSG keinen von uns jemals treffen möge.
Konkret bleiben
Für uns als Kommunistinnen und Kommunisten kann es also nicht um eine passive, medienwirksame Bilderstürmerei gehen, wo die Zerstörung des Anscheins die aktive Veränderung der Realität verdrängt. Auch geht es nicht darum, eine Stufe höher zu steigen und Indignation über die Indignation an den Tag zu legen, um wiederum moralisch noch höher zu stehen. Für uns lautet die Devise, wie es Marx im Jahr 1850 beschrieb: „Es kann sich für uns nicht um Veränderung des Privateigentums handeln, sondern nur um seine Vernichtung, nicht um Vertuschung der Klassengegensätze, sondern um Aufhebung der Klassen, nicht um Verbesserung der bestehenden Gesellschaft, sondern um Gründung einer neuen.“ Empörung und zeitweilige moralische Vorstellungen werden uns dabei eher nicht behilflich sein.
Der Widerspruch zwischen 1800 Schicksalen von Arbeiterinnen und Arbeitern und dem großkotzigen Reichtum einer kleinen Minderheit kann innerhalb kapitalistischer Produktionsverhältnisse nicht gelöst werden. Dieses Ungleichgewicht wird fortbestehen, bis man die Ursachen nicht radikal aus der Welt geschafft hat. Der Widerspruch aber wird durch solche Aktionen des Swarovski-Clans immer offenkundiger und für immer mehr Menschen nachvollziehbar. Damit es auch wirklich alle verstehen, sollten die Swarovskis am besten nur mehr in Gold gekleidet herumtanzen. Dieses Bild entspricht den realen kapitalistischen Verhältnissen, wonach derjenige, der arbeitet, nichts verdient, während derjenige, der verdient, nicht arbeitet. Das Bild vom Gewerkschaftsboss, der sich einen Eimer holen muss, bis sich die Konzernerbin wieder entschließt, orts- und zeitversetzte Fotos mit bergigem Hintergrund zu posten, entspricht einem Bild, das sich die Sozialdemokratie zurechtlegt, um die werktätige Bevölkerung in der Illusion zu belassen, dass sich manchmal eben doch was tut. Für diese großen Errungenschaften braucht man nicht einmal auf die Straße zu gehen, sondern kann auf Facebook zwei (ungerade) Sätze schreiben.
Uns geht es um konkrete Analyse der konkreten Situation. Sozialpartnerschaft und Sozialdemokratie haben sich nicht als potentielle Bündnispartnerinnen und ‑partner erwiesen, sondern als doppelte Klötze an den Beinen der Arbeiterbewegung, deren Ziele dreierlei sind: Schüren und dann Niederhalten des öffentlichen Unmuts (um politisch im Gespräch zu bleiben), Obskurantismus und am Ende abkassieren. Deshalb macht es relativ wenig Sinn, sich mit einem Gläschen Rotwein vor den Kamin zu setzen und darüber zu sinnieren, was die sozialdemokratisch geführte Gewerkschaft alles hätte anders machen können. Es geht um eine reale Einschätzung der uns umgebenden Verhältnisse – auf welcher Seite der Barrikade stehen Mernyi und der Swarovski-Clan? So gesehen auf keiner, da sich niemand der Involvierten die Hände schmutzig machen wollen würde. Jedenfalls haben beide oft genug ihre Klassenzugehörigkeit und ‑loyalität bewiesen.
Kampfmaßnahmen statt moralischer Empörung
Was es jetzt braucht, sind Kampfmaßnahmen, die Swarovski dort treffen, wo es wirklich wehtut. Wir bleiben bei der Feststellung, die die GO der Partei der Arbeit Tirol bereits im April getroffen hat: „Es ist klar, dass ein jeder Betrieb, ein jedes Unternehmen (mag es auch noch so professionell geführt werden), im sog. freien Markt niemals zum Wohle der Menschen und zur Befriedigung der Bedürfnisse der ArbeiterInnen produzieren wird. Was nottut, ist eine Verstaatlichung – und zwar unter der Kontrolle und Aufsicht der ArbeiterInnen. Dies wird unter den gegebenen Bedingungen, innerhalb des Kapitalismus und des bürgerlichen Staates jedweder Art nicht möglich sein, sondern nur in einer neuen Gesellschaftsform, in der alle Betriebe und Unternehmen mehr und mehr in die Hand der ArbeiterInnen und des Volkes gelangen, d.h. in die Hände derer, die den Reichtum tatsächlich produzieren. Wir müssen die Bedingungen erschaffen, in denen die ArbeiterInnen darüber entscheiden können, was, wieviel, wo und auf welche Weise produziert wird. Diese Gesellschaft ist der Sozialismus.“ Alles andere ist Schall und Rauch.