Gastbeitrag von Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i. R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.
Rosenkranz in Lourdes
Im katholischen Österreich der Nachkriegszeit ist der Wallfahrtsort Lourdes mit seinen von der katholischen Kirche anerkannten „Marienerscheinungen“ (1858) durch den viel gelesenen und verfilmten Roman „Das Lied von Bernadette“ des mosaisch, wundergläubigen und von der „Vorsehung nach Lourdes“ geführten Franz Werfel (1890–1945) wieder bekannt geworden.[1] Dass Émile Zola (1840–1902) in seinem wiederholt aufgelegten Roman „Lourdes“ (1894) die von pilgernden und nach Heilung suchenden Menschen erhofften Wunder von einem jungen Priester hinterfragen lässt, war in Österreich ein nicht gelesenes Buch. Weil der Prager Egon Erwin Kisch (1885–1948) in seinen Reportagen hinter den Kulissen immer das wahre Wesen entdecken wollte, ist sein 1933 niedergeschriebener und in seinem letzten Buch veröffentlichter Bericht aus Lourdes „Ich bade im wundertätigen Wasser (1933)“ bitterböse.[2]
„Lourdes-Beten für den Frieden“ ist die Überschrift einer im Herbstheft des Magazins des Österreichischen Bundesheeres „Truppendienst“ (03/2024) abgedruckten, katholisch-frömmelnden Reportage (S. 264–268) eines „Ministerialrat Oberst dhmfD Mag. (FH) Dr. Wilfried Thanner, MLS; Referent im Referat InfoOW/Abteilung Zielgruppenkommunikation im BMLV“, welche so beginnt: „>Marschbereit<, lautete am 23. Mai 2024 die Meldung an den Militärbischof von Österreich. Ein Kontingent des Österreichischen Bundesheeres – darunter Militärmusik, Fahnentrupp, Medienvertreter und natürliche Pilger – tritt seine Reise nach Lourdes an. Unter dem Motto >Kommt in Gemeinschaft hierher< ist es für die Teilnehmer der Soldatenwallfahrt eine einzigartige Möglichkeit, um für den Frieden und das Miteinander der Nationen zu beten. Zu Recht, denn der Krieg ist als Dimension der Politik zurück und steht in unmittelbarer Nähe an den Grenzen Österreichs“.
Etwa 400 Soldaten und Soldatinnen des Österreichischen Bundesheeres waren Teilnehmenden dieser „Soldatenwallfahrt“. Seit 2023 wird der freiwillige Grundwehrdienst für Frauen aufwendig beworben und Soldatinnen in voller Kampfmontur dargestellt. Die österreichische Soldatenwallfahrt wird offiziell in eine Tradition gestellt, die fatal ist: „Die internationale Soldatenwallfahrt entstand im Jahre 1958 aus einer gemeinsamen Friedensinitiative französischer und deutscher Soldaten, die den Wunsch hatten, durch ihren gemeinsamen Glauben bestehende Gegensätze zu überwinden“. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit ihrem Kanzler Konrad Adenauer (1876–1967) 1955 dem 1949 gegründeten Aggressionsbündnis NATO beigetreten und hat 1956 die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt. Die Bundesrepublik ist für die Aufrüstung mit Atomwaffen eingetreten und hat sich wie Frankreich, das von Anfang an Mitglied der NATO war, am militärischen Aufmarsch für die US-amerikanischen Interessen initiativ beteiligt. Die Unterzeichnung des Stockholmer Appells zur Ächtung der Atombombe, der auf der 3. Tagung des Weltkomitees der Kämpfer für den Frieden in Stockholm vom 15.–21. März 1950 beschlossen wurde, wurde von den bundesdeutschen Behörden kriminalisiert. Zur selben Zeit wurde in der Bundesrepublik der brutale Aggressionskrieg der USA gegen das koreanische Volk ideologisch als notwendig zur globalen Verteidigung des Abendlandes gegen die rote Gefahr gerechtfertigt. Am Sonntag, 15. Juni 1958, versammelten sich in Lourdes rund 40.000 NATO-Soldaten. Berater der neuen deutschen Wehrmacht waren Generäle der deutschen Nazi-Wehrmacht wie Hans Speidel (1897–1984), der auch erster deutscher General in der NATO war, und Gerhard Graf Schwerin (1899–1980).[3] Der Wallfahrtsort Lourdes verkam mit wohlwollendem Hinschauen des durch ihre Militärbischöfe repräsentierten politischen Katholizismus als Kulisse für das Böse. Im Schlepptau des deutschen Militärbischofs Franz-Josef Overbeck (*1964), der im März 2022 im Kölner Domradio eine „historische Kehrtwende in der deutschen Rüstungspolitik“ zum Aufmarsch gegen Russland eingefordert hat,[4] deklarierte in Lourdes der katholische Militärbischof für Österreich Dr. Werner Freistetter (*1953) die besondere Verbundenheit der soldatischen Wallfahrer mit den „ukrainischen Streitkräften“ (S. 267). Die Frage, ob das Drama in der Ukraine verhindert hätte werden können, wenn diese nicht 2013/2014 gezwungen worden wäre, sich für die Kooperation mit den westlichen imperialistischen Ländern zu entscheiden, stellt sich solchen ideologischen Kämpfern für „unserer Werte“ nicht. Deshalb bleibt der Völkermord in Palästina durch Israel, das also im Jetzt „unsere Werte“ exekutiert, in Lourdes außen vor. Der Glaube an Maria von Nazareth als Symbolgestalt der Mutter eines Vorkämpfers für die Befreiung der ganzen Menschheit wird mit solchen Lourdes-Wallfahrten vergewaltigt. Wallfahrende Soldatinnen und Soldaten werden bei solcher militärklerikalen Begleitung geistig erniedrigt.
„Schutzschild 24“
Das Herbstheft des Magazins des Österreichischen Bundesheeres „Truppendienst“ (03/2024) reiht sich ein in die Vielzahl von Propagandapublikationen der seit Jahren betriebenen Militarisierung der Republik Österreich. Als Zeitschrift zuständig für Ausbildung, Führung und Einsatz des Österreichischen Bundesheeres soll nebst speziellem militärischem Wissen „das militärische bzw. einsatzrelevanten Allgemeinwissen aller Kaderangehörigen des Präsenz‑, Miliz- und Reservestandes unter Beachtung der Information über das strategische Umfeld unseres Landes vermehrt werden“. Der nach dem Vorbild der in Buchhandlungen vertriebenen DMZ („Deutsche Militärzeitschrift“) mit heldischen Kriegsbilder der deutschen Wehrmacht verzierte Leitartikel will die vom 10. bis 21. Juni 2024 abgehaltene „Großübung des Bundesheeres. Schutzschild 24“ als ein „Zurück zur Landesverteidigung“ vermitteln (S. 188–193). Übungsteil war die Einbindung des österreichischen Logistikbataillons in die „EU-Battlegroup“, was zur Vorbereitung auf die multinationale „Combat Service Support Battalion“ der „European Battlegroup“ dient. Schon lange obsolet sind die im Österreichischen Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 ausdrücklich aufgenommenen Bestimmungen über die wirtschaftliche und politische „Unabhängigkeit Österreichs“ insbesondere von Deutschland. Die Parlamentsparteien hat es nicht gestört, dass die Deutsche Bundeswehr bei dieser Schutzschild-Übung in Österreich mitgetan hat. Weil sich Führungsoffiziere des Bundesheeres gerne „gebildet“ darstellen, endet der Artikel mit einem angeblichen Zitat von Albert Einstein „The only mistake in life is the lesson not learned“. Dass derselbe Albert Einstein den Russen Wladimir Il. Lenin als „Hüter und Erneuerer des Gewissens der Menschheit“ geehrt hat, wird nicht im Zitatenlexikon dieser antirussischen Militaristen stehen.
„Der Pragmaticus“ als Spiritus Rector österreichischer Medien
Die Klasse der Reichen mit ihren Systemeliten lassen ihre Herrschaftsideologie durch Massenmedien, durch gesellschaftliche Organisationen, durch Schulen usw. in vielfältiger Weise reproduzieren, um Unterdrückung und Ausbeutung der Armen manipulativ zu rechtfertigten. Die Monatsschrift „Der Pragmaticus“ ist häufig eine Gratisbeilage zur rechtsbürgerlichen Tageszeitung „Die Presse“, wird von ServusTV beworben und präsentiert im Selbstverständnis „die hellsten Köpfe aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“. Diese müssen in das Konzept ihres Herausgebers Seine Durchlaucht Prinz Michael von und zu Liechtenstein (*1951) passen und sich diesem mit ihren Texten als Söldner andienen. Im diesjährigen Oktober-Heft ruft Seine Durchlaucht Prinz Michael von und zu Liechtenstein als „Führer der österreichischen Presse“ höchstpersönlich zu einer alle Bereiche umfassende Militarisierung des europäischen Kontinents auf (S. 8 f.). Europa sei vom Osten und vom Süden her bedroht, es müssen dringend aufrüsten. Und dazu brauche es eine Rüstungsindustrie, aber, so jammert Seine Durchlaucht, „Mitarbeiter in der Rüstungsindustrie haben mitunter sogar Probleme, ein Bankkonto zu eröffnen“. Insgesamt wird eine „negative Einstellung des Finanzmarktes zur Rüstungsindustrie“ resümiert, was „einer effizienten europäischen Verteidigung im Wege steht“. Man wird keine Banklehre absolviert haben müssen, um zu wissen, dass eine solche Meldung die Realität der Finanzmärkte auf den Kopf stellt, weil jede europäische Bank einschließlich der Liechtensteiner Landesbank auch Kleinanleger auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis bei Rüstungsaktien aufmerksam machen wird. Die europäische Rüstungsindustrie wird nicht „verfolgt“, vielmehr lukriert sie in der Gegenwart massiv Aufträge. Dabei knüpfen Italien und Deutschland an ihre gemeinsamen historischen Erfahrungen bei der „Rettung“ des italienischen und deutschen Volkes in den 1930er Jahren an und haben sich durch den Konzern Rheinmetall und das italienische Unternehmen Leonardo für die gemeinsame Produktion von Panzern zusammengefunden. Deren erste Generation war an den Kriegsverbrechen der faschistischen deutschen Okkupanten in den sowjetischen Ländern beteiligt. In dem von diesen faschistischen deutschen Okkupanten befreiten Charkow wurde Ende 1943 ein erster Überblick über deren Bestialitäten in Stadt und Gebiet Charkow gewonnen.[5] Die reaktionären Bewegungen in Deutschland wie in ganz Europa trachten darnach, dem offenen Faschismus an der Macht nachzueifern und diesen zu erreichen. S. D. Michael von Liechtenstein erinnert an Riesengeschäfte witternde Figuren, über welche der tschechische Dichter Karel Čapek (1890–1938) in seiner 1935 veröffentlichten, in der DDR im Aufbau Verlag wiederholt verlegten humanistischen, den Faschismus anklagenden Erzählung „Der Krieg mit den Molchen“ schreibt. Diese Weltkonferenz fand in Vaduz statt, „weil schon früher ein Großteil der wohlhabenden Kreise und Persönlichkeiten von gesellschaftlichem Rang“ dort „Zuflucht“ gesucht hat.[6] „Der Pragmaticus“ fordert eine Wirtschaft ein, die nach den Worten von Papst Franziskus (*1936) tötet.[7]
„Hier sind Experten am Wort, unverfälscht und unverblümt“ – was heißt das konkret, wenn z. B. ein Michael Köhlmeier (*1949) als „einer der größten zeitgenössischen Literaten“ über den Sieger der Schlacht im Teutoburger Wald (9. u. Z.) Arminius (geb. um 18 v. u. Z.) schreibt (S. 76 f.). Zuerst sei dieser „ein lebender Beweis für den Segen der römischen Zivilisation“ gewesen, aber in Wahrheit habe Arminius die Römer gehasst, „hatte sie immer gehasst. Er war immer Cherusker geblieben“. Dies, obschon die Römer „den wilden Germanen“ nach Köhlmeier nur Zivilisation gebracht haben: „Rechtssicherheit, Befriedung von inneren Kämpfen, Handel und Infrastruktur, Hygiene, medizinische Versorgung, Kultur und Weltblick“. Die antike Welt wird von Köhlmeier zur Fundgrube für moderne Schlagworte in Europa. Da darf nicht in Erinnerung gebracht werden, dass im alten Rom zum Beispiel Christen grausam verfolgt wurden, diese auch mit dem Märchen vom Ritualmord in Verbindung gebracht wurden, welches dann für die Juden tragische Folgen nach sich zog. Köhlmeier, zuletzt mit seinem Roman „Philosophenschiff“ Souffleur der Russophobie, ist Zulieferer der Argumentation der extremen Rechten, dass Integration von Menschen ohne „Westkultur“ nicht gelingen wird.
[1] Erste bis zehnte Wiener Auflage Bermann-Fischer Verlag Wien 1948 nach der 26. bis 35. Auflage Bermann-Fischer Verlag A. B., Stockholm 1941.
[2] In: Abenteuer in fünf Kontinenten. Reportagen. Globus Verlag Wien 1948. Zugänglich auch: https://www.projekt-gutenberg.org/kisch/5kontin/chap014.html
[3] Verherrlichung durch Horst Möller: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell. Piper Verlag, München / Berlin / Zürich. Tb 2016.
[4] L’Osservatore Romano vom 9. März 2022.
[5] Deutsche Greuel in Russland. Gerichtstag in Charkow. Stern-Verlag Wien 1945.
[6] Der Krieg mit den Molchen. Aufbau Verlag Berlin und Weimar 1973, hier S. 290–301, 293.
[7] Papst Franziskus: Für eine Wirtschaft, die nicht tötet. Wir brauchen und wir wollen Veränderung. Mit einer Einführung von Thomas Seiterich. Camino Buch Stuttgart 2015.