Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)
„Es gibt nichts Antikommunistischeres als die SPÖ.“ – Meint der ehemalige sozialdemokratische Wiener Bürgermeister Michael Häupl in einem Interviewduett mit der (noch?) amtierenden Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner. Sinn und Zweck der Aussage in einem „Standard“-Gespräch liegen im offenkundigen Bemühen, die Sozialdemokratie nicht als „zu links“ erscheinen zu lassen, was recht originell ist, sowie darin, Andreas Babler sehr wohl als „zu links“ darzustellen. Es drängt sich auf, beides anhand von Historie und Gegenwart zu überprüfen.
Tatsächlich ist das geschichtliche Gründungsdokument der selbständigen Arbeiterbewegung das „Manifest der Kommunistischen Partei“ von Karl Marx und Friedrich Engels. Dieses wurde 1848 als programmatische Basis für den „Bund der Kommunisten“ verfasst, der sich 1852 schon wieder auflöste. Trotz geringer unmittelbarer Wirkung – es kam 1848/49 die bürgerliche Revolution – dienten Manifest sowie v.a. die weitere Tätigkeit von Marx und Engels der Herausbildung sozialistisch-kommunistischer Arbeiterparteien. Unter den Bedingungen scharfer Verfolgung durch die reaktionären Staatsmächte gaben diese sich zumeist den harmloser wirkenden Namen „sozialdemokratische Partei“, was Engels als einstweilen hinnehmbar bezeichnete, wenngleich nur die Bezeichnung „kommunistische Partei“ treffend sei. Es blieb so in der I. Internationale (1864–1876) sowie insbesondere in der II. Internationale (ab 1889), die 1914 zusammenbrach und seit ihrer „Neugründung“ 1951 als „Sozialistische Internationale“ bis heute existiert. Diese technische Traditionslinie ist der Grund, warum es im SPÖ-dominierten Wien u.a. einen Karl-Marx-Hof und einen Friedrich-Engels-Platz gibt.
1889 war auch das erste Lebensjahr der österreichischen Sozialdemokratie, die sich zum Jahreswechsel 1888/89 unter Führung Victor Adlers als „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ (SDAP) auf dem Gründungsparteitag im niederösterreichischen Hainfeld konstituierte. Das dazugehörige Parteiprogramm („Prinzipienerklärung“) war marxistisch, Adler stand im Briefwechsel mit Engels und Karl Kautsky. Das Ziel war klar benannt: Die Arbeiterklasse physisch und geistig kampffähig zu machen für den Sturz des Kapitalismus und die Errichtung des Sozialismus, der die erste Stufe des Kommunismus – der klassenlosen Gesellschaft – markiert. Die meisten Parteien der II. Internationale – nicht zuletzt die federführende SPD – verzeichneten jedoch einen rasanten ideologischen Niedergang, letztlich siegte der Bernstein-Revisionismus über den Marxismus und deren Wortführer/innen wie Rosa Luxemburg. 1914 war es so weit, dass die Parteien jeden Klassenstandpunkt, Internationalismus und Antimilitarismus über Bord warfen und ihre jeweilige Bourgeoise im imperialistischen Ersten Weltkrieg unterstützten. Die bekannteste Ausnahme war die linke Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, die landläufig als „Bolschewiki“ bekannt war und unter der Führung Wladimir Iljitsch Lenins stand.
Die österreichische SDAP war leider keine Ausnahme. Auf dem Parteitag in Brünn 1899 wurde das Hainfelder Programm bereits verwässert, 1901 durch das revisionistische Wiener Programm ersetzt. Damit war die Sozialdemokratie im Habsburgerstaat „angekommen“, man beschränkte sich auf sozialreformistische Anliegen – und unterstützte 1914 mit Begeisterung die Kriegserklärung gegenüber Serbien und damit den Beginn des Weltkrieges. Einen organisierten innerparteilichen Widerstand gab es nicht, im Gegensatz zur SPD, wo Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg aktiv waren – der prominenteste „Protest“ aus den Reihen der SDAP war das Schussattentat Friedrich Adlers auf den Ministerpräsidenten der kaiserlichen Regierung.
Im Oktober 1917 kam es zur Zeitenwende. In Russland blieb die sozialistische Revolution – wahrlich nicht zufällig unter Führung von Lenins Bolschewiki – siegreich, die Russische Sowjetrepublik zeigte vor, dass nur der Sozialismus die Antwort der Arbeiterklasse auf Krieg, Hunger und Not, auf Ausbeutung und Unterdrückung sein kann. Die bis dahin einheitliche Arbeiterbewegung überlebte diese Diskrepanz zur Realpolitik der westlichen SP-Führungen nicht. Sie spaltete sich in die sozialdemokratischen Parteien, die zwar den Namen behielten, aber endgültig mit dem Marxismus brachen, und die kommunistischen Parteien, die weiterhin das Ziel der sozialistischen Revolution verfolgten. In Deutschland entstand mit der durch Liebknecht und Luxemburg gegründeten KPD eine mächtige Partei unter Führung von Persönlichkeiten wie Ernst Thälmann und Clara Zetkin – in Österreich blieb die KPÖ zunächst weniger bedeutend. Nichtdestotrotz sammelten sich diese Parteien ab 1919 in der III., der Kommunistischen Internationale.
Der SDAP gelang es, in Österreich die revolutionierte Arbeiterklasse, die 1918 den Sozialismus forderte, ruhigzustellen und auf diese Weise den Kapitalismus und die Bourgeoisie zu retten. Indem sie aber ihre reformistische Kapitalismusverwaltung mit z.T. radikalen Phrasen und falschen Versprechungen verschleierte, konnte sie die KPÖ klein halten – zumindest bis zum Februar 1934. Auf Basis des verheerend revisionistischen, angeblich „austromarxistischen“ Linzer Programms (1926) betrieb die SDAP gegenüber den Bürgerlichen und dem Faschismus eine Kapitulationspolitik, die geradezu folgerichtig in der austrofaschistischen Diktatur mündete. Viele Arbeiter, Sozialdemokraten und Schutzbündler erkannten nun jedoch den Verrat der SP-Führung und traten zur illegalen KPÖ über. Diese wurde insbesondere während der deutsch-faschistischen Herrschaft 1938–1945 zur tragenden Säule des österreichischen Widerstandes, während die SDAP längst kapituliert hatte, inklusive der Anschlussbefürwortung Karl Renners. Es ist das Verdienst der KPÖ, in einem opferreichen Kampf jenen Beitrag zur eigenen Befreiung Österreichs geleistet zu haben, den die Alliierten in der „Moskauer Deklaration“ gefordert hatten.
Nach Kriegsende und der Wiedererlangung der österreichischen Unabhängigkeit hat man es der KPÖ nicht gedankt – im Gegenteil. Der allgemeine Antifaschismus wurde sofort durch den neuen Antikommunismus ersetzt. Die SDAP nahm den Namen „Sozialistische Partei“ an, um weiterhin ein falsches Ziel vorzutäuschen, gleichzeitig verbündete sie sich mit der ÖVP, die aus der CSP bzw. der austrofaschistischen Vaterländischen Front hervorgegangen war, zu einer antikommunistischen Einheit. Andernorts nützten Sozialdemokraten und Kommunisten die Situation, um gemeinsam den Kapitalismus zu überwinden, doch die SPÖ entschied sich dazu, ihn abermals im Rahmen des Westblocks zu retten. Als die KPÖ als erste Partei im Nationalrat die Neutralität Österreichs vorschlug, um die Besatzung zu beenden, warf man ihr zunächst Hochverrat und Moskau-Hörigkeit vor. Die Niederschlagung des Oktoberstreiks 1950, seine Umdeutung zum kommunistischen Putschversuch, der Ausschluss von Vizepräsident Gottlieb Fiala aus dem ÖGB sowie die Entfernung der SPÖ-Linken um Erwin Scharf zeigten deutlich, worum es ging: Die SPÖ ist eine antikommunistische (und antisowjetische) Partei. Dass sie damit gleichzeitig eine antisozialistische und prokapitalistische Partei war (und ist), versuchte man zunächst noch zu vertuschen.
Für den weiteren ideologischen Rechtsruck der SPÖ zeichnete Bruno Kreisky Ende der 1960er Jahre verantwortlich. Mit der „Eisenstädter Erklärung“ von 1969 legte man sich fest, keinerlei Zusammenarbeit mit kommunistischen Organisationen zuzulassen, während man sich 1970 mit Hilfe (ehemaliger?) Nazis und der FPÖ zurück in die Regierung bringen ließ. Das folgende Reformprogramm Kreiskys brachte natürlich Verbesserungen für die Arbeiterklasse, doch dem Keynesianismus ging es in Wirklichkeit immer nur um die Stabilisierung des Kapitalismus: Mit ein paar Almosen für die Arbeiterschaft, mit dem Kollaborations- und Herrschaftsinstrument der „Sozialpartnerschaft“ und mit der Behauptung, der Kapitalismus würde eh tadellos funktionieren. Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit brachte Kreisky noch eine Koalition mit der FPÖ auf Schiene, bald danach kamen die Banker, Manager und Spin-Doktoren in der SPÖ an die Macht. Gemeinsam mit der ÖVP mündete dies in neoliberalen Konterreformen, in Privatisierungen, Sozialabbau und dem EU-Beitritt. Mit dem Wegfall der unmittelbaren Systemkonkurrenz in Europa entledigte sich die SPÖ dann auch ihrer titulierenden Maske: 1991 erfolgte die Umbenennung von „Sozialistische“ in „Sozialdemokratische“ Partei. Damit war auch der Etikettenschwindel vorbei, der Sozialismus wurde als Begriff auf dem Parteiprogramm endgültig verbannt – und gleichzeitig verlor man massenhaft Mitglieder und Wähler. Denn wofür brauchte es die SPÖ noch? Die ÖVP gab zur Jahrtausendwende die Antwort, nämlich: „Für nichts!“, und bildete erstmals eine Koalition mit der FPÖ.
Anhand dieser historischen Rückschau muss man Michael Häupl zustimmen: Die SPÖ war und ist eine zutiefst antikommunistische und antisozialistische Partei. Sie ist heute eine bürgerliche Partei des Kapitalismus und Imperialismus, mit der Aufgabe, durch ihre Dominanz in ÖGB und AK die Arbeiterklasse ruhigzustellen und bei Wahlen gemeinsam mit der FPÖ zu binden. Was es auch heute nicht geben darf, ist eine klassenkämpferische, im Wortsinn sozialistische, kommunistische Kraft links der Sozialdemokratie – das ist das Wichtigste. Aber immerhin: Die bereits vernichtet geglaubte KPÖ reüssiert in Graz, wenngleich nicht als marxistische Kampfpartei, sondern als reformistische Wahlpartei der Kapitalismusverwaltung, quasi auf den ausgetretenen Pfaden (besser: Irrwegen) der alten Sozialdemokratie. Sie wird früher oder später ein ähnliches Schicksal erleiden, sollte der SPÖ aber trotzdem zu denken geben: Der Hinweis auf das böse „K“-Wort im Namen zieht nicht mehr unbedingt als Gegenpropaganda.
Heute wirkt die SPÖ in zweierlei Hinsicht als antikommunistische Bastion: Einerseits verfügt sie immer noch über „linke“ Feigenblätter. Dazu gehört z.B. die Sozialistische Jugend, die schon Generationen von Jugendlichen eine sozialistische Ausrichtung vorgegaukelt und von einer wirklich revolutionären Organisierung abgehalten hat. Nach der SJ-Zeit passen sich die Kader der SPÖ-Realität an, die anderen werden desillusioniert und ausgespuckt. Einzelne verbleiben freilich auch in sozialdemokratischen Vorfeldorganisationen, in Lokalparteien oder in der FSG-Gewerkschaft, wo sie sich ihre „linken Nischen“ suchen dürfen – mit dem gewiss ungewollten, aber faktischen Ergebnis, dass sie lediglich der Stabilisierung der bürgerlich-kapitalistischen SPÖ-Eliten dienen. Sie sind aber ohnedies nur geduldet, solange es nützt. Denn wer aufbegehrt, wird entfernt. Das beginnt schon in der SJ, wo man trotzkistische Gruppen immer wieder ausschließt, während man die Marxisten-Leninisten („Stamokap-Strömung“) länger gewähren ließ und sogar zu instrumentalisieren wusste – sie stellten nie eine Gefahr dar, denn sie passen sich in der SPÖ an und blinken höchstens hin und wieder ein bissel links. Niemand kann die Partei verändern – im Gegenteil: Es verläuft stets umgekehrt.
Manches geht aber dann doch zu weit: Zuletzt musste mit David Stockinger der SPÖ-Stadtparteivorsitzende von Schwechat zurücktreten – der Vorwurf lautet auf Sowjetnostalgie. Was war geschehen? Stockinger nahm im Jahr 2015 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung an einem Reenactment des Nazi-Angriffs auf die weißrussische Stadt Brest im Juni 1941 teil – als Österreicher, der damit offenbar ein Zeichen der Versöhnung setzen wollte. Dieser persönliche Akt ist gerade vor dem historischen Hintergrund relevant, weil bei Brest viele Österreicher im Verband der „Linzer Division“ der Wehrmacht in das Land einfielen. Ein Drittel der weißrussischen Bevölkerung wurde 1941–1944 von den Nazi-Okkupanten und ihren Verbündeten ermordet – man kann sich vorstellen, welche Bedeutung dies im nationalen Bewusstsein hat und warum man daran erinnert. Jedenfalls, Stockinger war also Teil der Darstellerriege des Reenactments, wobei er eine sowjetische Uniform der Verteidiger von Brest trug. Das ist zunächst gut, denn für die Nachstellung der Schlacht aus dem Zweiten Weltkrieg mussten viele Darsteller natürlich auch in deutsche Uniformen schlüpfen. Allerdings wird man das Gefühl nicht los, dass Stockinger besser davongekommen wäre, wenn er in der Kluft der Wehrmacht oder der Waffen-SS aufgetreten wäre. Aber Rote Armee oder gar Innenministeriumstruppe NKWD? Geht gar nicht, denn die SPÖ befindet sich ja immer noch im „Kalten Krieg“ – oder doch auf einem rotbärtigen Ostfeldzug? Anstatt anzuerkennen, dankbar zu sein und sie dafür zu ehren, dass die UdSSR, ihre Soldaten und Völker die Hauptlast bei der Befreiung Europas vom deutschen Faschismus getragen haben, dass ihr opferreicher Einsatz der Grund ist, warum 1945–1955 wieder ein unabhängiger, demokratischer (und neutraler) österreichischer Staat entstanden ist, wird dies ausgeblendet. Die SPÖ bekennt sich offenbar nicht zur Anti-Hitler-Koalition zwischen den USA und der UdSSR, für sie sind in ihrem räudigen antikommunistischen Welt- und Geschichtsbild die Betreiber und die Befreier von Ausschwitz anscheinend das Gleiche. Das kommt davon, wenn einem der Antikommunismus wichtiger ist als der Antifaschismus.
Womit wir wieder bei Michael Häupl sind. Angesprochen auf den „Herrn aus Schwechat“, sagt er: „Deppen gibt’s überall.“ Und Andreas Babler, einst selbst SJ-Stamokap, bezeichnet die Teilnahme Stockingers an einem antifaschistischen Reenactment als „verstörend“. Natürlich kann man Stockingers mangelnde Distanz zum offiziellen Belarus kritisieren. Ironischer Weise speist sich diese aber vermutlich gerade aus dem Fehlen einer sozialistischen Perspektive der SPÖ: Hat man als Gesamtpartei mit seinem Antikommunismus jeden Bezug zum Sozialismus abgelegt, dann bleiben manchen eben nur noch nationale sozialstaatskapitalistische Konstruktionen, wie in Venezuela oder Weißrussland, die man, wenngleich autoritär, als Gegenpol zur westimperialistisch-neoliberal durchdrungenen Welt betrachtet. In einer marxistischen Partei könnte derartiges nicht passieren, denn Kommunisten wissen sehr wohl, was die Zielsetzung des Klassenkampfes ist, nämlich der Sozialismus – und nicht ein antiimperialistischer Sozialstaat im Rahmen des Kapitalismus. Aber darum geht es eben nur am Rande.
Dass Stockinger über die Klinge springen musste, war in der Logik der SPÖ unausweichlich. Dass sie das kapitalistische Russland nicht von der sozialistischen UdSSR unterscheiden kann, ist ebenso folgerichtig. In der „Causa Stockinger“ ging es hintergründig aber nicht nur um die Diffamierung des historischen sowjetischen Antifaschismus, der die Nazi-Tyrannei besiegt hat, sondern auch um die Delegitimierung konsequenter neutralitätspolitischer Positionierungen, etwa zum NATO-Angriff auf Jugoslawien 1999, zum Ukrainekrieg seit 2014 oder generell gegenüber dem US-Imperialismus. Es unterstreicht die ganze Tragik der SPÖ, dass die FPÖ diesbezüglich heute formell bessere Positionen vertritt, wenngleich diese in ihrem Fall nur Teil der politischen Demagogie sind. Eine SPÖ-Elite, die in ihrer schrumpfenden Basis „Deppen“ verortet, und ein „Basiskandidat“, der einem Freund verstörendes Verhalten attestiert, sagen viel über diese Partei und ihre Mechanismen aus.
Doch man muss ihnen allen dankbar sein. Wenn Häupl als Rendi-Wagner-Unterstützer stolz auf den rabiaten Antikommunismus der SPÖ verweist, und Babler allem abschwören muss, was er in der SJ gelernt hat, dann sollte allen Linken innerhalb und außerhalb der SPÖ klar sein, dass mit der österreichischen Sozialdemokratie keine antikapitalistische, keine antiimperialistische und keine Arbeiterpolitik zu machen ist – egal, wie die/der Vorsitzende heißt. Wer sich zum x‑ten Mal einer Illusion hingibt, belügt sich nur selbst. Die Sozialdemokratie sei ein stinkender Leichnam, sagte Rosa Luxemburg. Das ist mehr als 100 Jahre später immer noch richtig – und es war tragischer Weise Selbstmord.
Thomas Mann bezeichnete 1943 den Antikommunismus als „Grundtorheit unserer Epoche“. Daraus lässt sich ableiten, wer die wahren Deppen in der Sozialdemokratie waren und sind.