Ein Boot mit 90 Geflüchteten treibt tagelang in Seenot, nur wenige Stunden von Lampedusa entfernt. Zwei Kinder sterben, eine Person bleibt verschwunden. Während Europa und Italien wegschauen, erhebt Sea Watch schwere Vorwürfe – gegen ein System, das offenbar kalkuliert versagt.
Lampedusa. Anklage gegen die italienische Regierung und die EU, vertreten durch die Agentur Frontex, erhebt die NGO Sea Watch. Am Montag sichtete das Aufklärungsflugzeug Seabird der Organisation ein Boot in großer Seenot mit etwa 90 Personen an Bord: Die Geflüchteten waren da bereits seit 72 Stunden unterwegs, zwei Personen befanden sich beim ersten Luftkontakt im Wasser.
„Wir haben sofort um Hilfe gebeten. Frontex kam sechs Stunden später, sah das Boot – und flog wieder weg. Gestern Morgen waren die Menschen noch immer ihrem Schicksal auf dem Meer überlassen“, berichtet Sea Watch.
Tatsächlich griff niemand ein – weder Italien noch Malta noch Frontex: „Die europäischen Rettungsschiffe hätten sie in rund drei Stunden erreichen können, entschieden sich aber dagegen“, kritisiert die NGO. Die Lage eskalierte paradoxerweise erst, als ein in der Nähe befindliches Handelsschiff, die Port Fukuka, versuchte, die Migrantinnen und Migranten zu retten: Das seeuntüchtige Boot kenterte, alle Menschen fielen ins Wasser. Nach der Rettungsaktion starben zwei Kinder, eine Person blieb vermisst.
Einreise verweigert
„Heute befinden sich die Menschen noch immer auf dem Handelsschiff“, erklärt Sea Watch, „und die italienischen Behörden tun alles, um ihnen die Einreise nach Italien zu verweigern. Es besteht akute Gefahr, dass die sogenannte libysche Küstenwache sie entführt und zurück nach Libyen bringt – in Folter und Tod. Das ist inakzeptabel.“
Der NGO selbst wurde indes die Seenotrettung untersagt: Das schnelle Rettungsschiff Aurora ist von den italienischen Behörden im Hafen von Lampedusa festgesetzt worden – „mit völlig haltlosen Begründungen“, wie Sea Watch beklagt.
„Dieses beschämende Schauspiel ist noch nicht beendet, doch die italienischen und europäischen Behörden haben nicht eingegriffen. Es ist ein System, das genau das tut, wofür es geschaffen wurde: Es lässt Menschen an den Grenzen Europas ertrinken. Lautlos, systematisch“, lautet die Anklage der NGO.
Quelle: l‘Unità