Eine Diplomierte Medizinisch-Technische Fachkraft erleidet im Jahr 2005 im Wiener Allgemeinen Krankenhaus (AKH) einen schweren Arbeitsunfall. Seitdem erlebt sie die Hölle und muss sich gegen die AUVA und dubiose Gutachter zur Wehr setzen. Sie gibt nicht auf und kämpft gemeinsam mit anderen, denen ähnlich übel mitgespielt wurde, weiter.
Wien. Im größten Krankenhaus des Landes, im Wiener Allgemeinen Krankenhaus (AKH), kommt es im Jahr 2005 zu einem folgenschweren Arbeitsunfall. Die damals 32-jährige Diplomierte Medizinisch-Technische Fachkraft (MTF) Nicole Schimatovich hat im Auftrag der Anästhesistin eine 120 Kilogramm schwere intubierte und narkotisierte Patientin für eine postoperative Röntgenaufnahme aufzuheben. Schimatovich, selbst 62 Kilogramm schwer, protestiert, die Anästhesistin sagt ihr, das wäre Arbeitsverweigerung. Aufgrund von Personaleinsparungen ist keine Hilfe verfügbar und sie muss es allein versuchen.
„Ich riss mit aller Gewalt ruckartig mit einer Hand das grüne OP-Tuch unter der Patientin hoch und mit der anderen schob ich die Bleirasterkassette unter die Patientin, dabei rutschte ich aber wegen Flüssigkeit am Boden weg, verlor den Halt, knickte nach vorne ein und fiel durch die Wucht und massive Kraftanstrengung nach hinten auf den Boden. Ich war angeblich mehrere Minuten bewusstlos und wurde im Aufwachraum mit einer Morphium-Infusion versorgt.“
Sie erlitt durch diesen Arbeitsunfall einen mehrfachen Wirbelbruch, an dessen Langzeitfolgen sie bis heute leidet. Seither ist nichts im Leben der jungen Frau mehr so wie es vorher war. Nicole Schimatovich war Triathletin, also durchtrainiert und fit, und auf einmal hatte sie dauerhaft Schmerzen und musste mit Morphium behandelt werden. Sie braucht seitdem eine Haushaltshilfe, da sie viele Arbeiten, vor allem solche, die mit bücken verbunden sind, nicht mehr ausführen kann.
AUVA-Gutachter mit absurden Befunden
Seit siebzehn Jahren geht nun schon ein Rechtsstreit mit der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), weil diese nicht bereit ist, ihr eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zuzuerkennen. Ein von der AUVA bestellter Gutachter sprach von lediglich Zerrungen, Prellungen und dubiosen Vorschäden, was angesichts des Zustands von Frau Schimatovich als durchtrainierte Sportlerin nach ihren Worten absurd ist. Sie hatte diesen Gutachter als befangen abgelehnt, da er im selben Bereich im AKH und im selben Operationssaal wie sie gearbeitet hat, doch das Gericht befand das nicht als Befangenheitsgrund.
Durch mehrere privat eingeholte Gutachten anerkannter Primare und Spezialisten wurde der Gutachter schließlich auch mehrfach widerlegt. Es half jedoch nichts. Die rechtliche Auseinandersetzung geht indes weiter, und Frau Schimatovich durchleidet die Hölle. Immer wieder langandauernde Krankenstände, permanente Schmerzen, die nur durch starke Schmerzmittel erträglich sind, und ein Alltag als Alleinerzieherin mit Kind, der trotzdem gemeistert werden muss. Sie ist zu 80 Prozent behindert, wie vom Bundessozialamt bestätigt wurde, bekommt aber trotzdem keine Invaliditätspension.
Die AUVA – in der die Unternehmervertreter dominieren – ist stets bestrebt, möglichst wenig an Leistungen zahlen zu müssen. Wie in diesem Fall liegt der Verdacht nahe, dass immer dieselben Gutachter bestellt werden, die teils absurde Begründungen finden, warum der Arbeitsunfall keiner war oder nicht der Grund für die Erwerbsunfähigkeit sein kann. Auch wenn – wie in diesem Fall – sämtliche anderen anerkannten Fachleute und Primare anderer Meinung sind, so hilft das nichts.
Auch noch gekündigt
Als wäre das alles nicht genug, wurde sie vor zwei Jahren vom AKH auch noch gekündigt: „In erster Linie wegen meiner vielen Krankenstände, sowie wegen unhaltbarer Vorwürfe. Das AKH Wien hat sogar eine fristlose Entlassung veranlasst, aber da mir dieser Umstand nicht innerhalb von 24 Stunden mündlich oder schriftlich mitgeteilt wurde, hatte diese Entlassung keine gesetzliche Grundlage. Somit wurde sie in eine Kündigung umgewandelt.“ Der Grund für die Kündigung wurde ihr aber nicht mitgeteilt. Da sie während des Kündigungsvorgangs im Urlaub war, fiel sie aus allen Wolken, als sie zurückkam und ihren Dienst antreten wollte: „Ich habe am Montag, den 6.7.2020, den AKH-Dienst angetreten – nach dem Urlaub bzw. der Pflegefreistellung meiner 8‑jährigen Tochter, sowie dem langem Krankenstand und meiner Dienstfreistellung als Covid-19-Risikopatientin – und habe dann erst im Personalbüro offiziell erfahren, dass ein Kündigungsverfahren läuft und ich ab sofort vom Dienst freigestellt bin bei vollen Bezügen“. Sie wurde weder von ihren Vorgesetzen, noch von der Personalvertretung oder der Gewerkschaftsvertretung der Younion über ihre Kündigung informiert, und das, obwohl sie Personalvertreterin mit ruhendem Ersatzmandat war.
Sie hätte nach ihren eigenen Worten nach dem schweren Arbeitsunfall „offiziell laut Sozialministeriumservice mit 50 Prozent Behinderung (!) im OP mit massivem Stress gar nicht arbeiten dürfen und schon gar nicht ohne geregelte Essens- und Trinkpausen. Ich konnte oft nicht einmal meine Notdurft verrichten mit chron. CED-Autoimmunerkrankung und musste Unmenschliches leisten dort, zum Beispiel an einem ruhigen Tag 37 km laut Wegzähler in 7 Stunden laufen mit schwerer 20-kg-Bleischürze“.
Frau Schimatovich ist verzweifelt, aber kampfbereit. Sie hat inzwischen Leidensgenossinnen und Leidensgenossen aufgespürt, denen ähnlich übel mitgespielt wurde, und sie setzen sich gemeinsam zur Wehr.
Die rechtlichen Auseinandersetzungen mit der AUVA laufen und sie hat nicht vor, klein beizugeben.
Auch die Kündigung durch das AKH hat sie bekämpfen. Ohne Unterstützung der zuständigen Gewerkschaft Younion ist der Fall mittlerweile durch mehrere Instanzen gegangen, unter anderem auch wegen der Diskriminierung von Behinderten.
Hin- und hergeschoben
Von den Ämtern und Behörden wird Nicole Schimatovich hin- und hergeschoben wie eine heiße Kartoffel, ohne dass ihr jemand hilft. Von der ÖGK bekommt sie inzwischen nichts mehr, Sonderkrankengeld wurde ihr verweigert. Das AMS zahlt kein Arbeitslosengeld, weil sie nicht arbeitsfähig ist, und die PVA gewährt weder Rehabilitationsgeld noch Berufsunfähigkeitspension. Letzteres wurde nun durch die AK Burgenland, wo Frau Schimatovich ihren Wohnsitz hat, eingeklagt.
Sie musste nun Mindestsicherung beantragen und sich Lebensmittel von der Tafel in Eisenstadt holen, damit sie und ihre Tochter etwas zu essen haben.
Der Sozialwissenschaftler Emmerich Talos schrieb vor Jahrzehnten ein Buch mit dem Titel „Sozialstaat Österreich: bei Bedarf geschlossen“. Dieser Fall zeigt, wie recht er damit hatte. Es ist seither nicht besser geworden, sondern noch schlechter.