Oberösterreich/Linz. Wir berichteten bereits über den Fall im Kepler Universitätsklinikum (KUK), wo ein Oberarzt der Chirurgie dem Anschein nach einen 77-jährigen Patienten mit Aortariss seinem Schicksal überließ, um seinen lukrativeren Verpflichtungen in einer Privatpraxis nachzugehen.
Die ZdA berichtete ebenfalls darüber, dass der Oberarzt Ende Mai gegen seine anschließende Entlassung klagen würde, u.a. mit der Begründung, dass es sich dabei sowieso nur um Bereitschaftsdienst gehandelt habe. Eine solche Begründung aber rückt das Gesundheitssystem im Kapitalismus in ein fragwürdiges und relativierendes Licht „[…] würde dies schließlich bedeuten, dass die Versorgung in einem Gesundheitssystem, das vielfach auf Bereitschaftsdiensten aufbaut, stets unsicher ist, da das medizinische Personal dem Argument der Verteidigung folgend hier dann stets die Freiheit hätte zu gehen, wenn z.B. die Privatordination ruft“, wie wir in unserem letzten Bericht festhielten.
Inzwischen liegen die Obduktionsergebnisse vor und es scheint, als könne das Verhalten des Arztes nicht im Zusammenhang mit dem Tod des Patienten gebracht werden. Nun steht die Frage im Raum, ob das Verlassen des Operationssaals noch während einer Operation eine Entlassung rechtfertigt oder nicht.
With a little help from my friends
Kollegeninnen und Kollegen des Oberarztes brechen eine Lanze für den in Ungnade gefallenen Mediziner und verfassen einen offenen Brief. Darin wird die Richtigstellung des Sachverhalts gefordert: Sie stellen die Frage, warum der Arzt etwa schon vorverurteilt worden sei und wehren sich vehement gegen eine Darstellung nach außen, als handelten Ärztinnen und Ärzte überwiegend im eigenen Interesse. Die Arbeit in einer Privatordination sei vor allem als eine zusätzliche Leistung engagierter Ärzte zu bewerten. Überdies: die fristlose Entlassung von Ärztinnen und Ärzten führe in Wirklichkeit dazu, dass die Ärzteschaft in eine Medizin getrieben würde, bei der die persönliche Absicherung im Mittelpunkt stehe – so zumindest der aus dem Brief hervorgehende Zirkelschluss.
Waldenberger stellt sich quer
Ferdinand Waldenberger, ärztlicher Leiter des KUK, zeigte sich indes vom offenen Brief unbeeindruckt und pochte in einem dem ORF vorliegenden Brief darauf, dass Fehler und Unterlassungen eben zu Entlassungen führen könnten. Grundsätzlich stehe das Krankenhaus durchaus hinter seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Eine Imagefrage
Die Covid19-Krise hat tausenden Ärztinnen und Ärzten in aller Welt übermenschliche Opfer abverlangt und gezeigt, dass Medizin (im Sinne öffentlicher, nicht privater Gesundheitsversorgung) sehr wohl eine, wenn auch durch die Notsituation aufgezwungene und großteils nicht vergoltene, menschliche Seite besitzt, die beileibe nicht dem Handeln nach eigenem Interesse zugeordnet werden kann. Das medizinische Personal und die Ärzteschaft genießen momentan ein zurecht sehr hohes Image.
Das heißt aber nicht, dass offenkundige Fehlhandlungen verschwiegen oder auf eher dilettantische Weise gerechtfertigt werden dürfen. Dass für Ärztinnen und Ärzte die Notwendigkeit besteht, sich etwas durch dieselbe Arbeit in Privatpraxen dazuzuverdienen, ist ein Symptom kapitalistischer Arbeits- und Rangordnungsverhältnisse, ebenso aber die Heuchelei, das zusätzliche Gehalt als besonderes „Engagement“ darzustellen. Man versucht hierbei einer gesellschaftlich und moralisch eher geächteten Praxis eine ethisch höhere Komponente einzuschleusen, die der Fall einfach nicht hergibt. Daraus ergibt sich der aus dem offenen Brief hervorgehende Teufelskreis: Zieht man die Ärzteschaft tatsächlich zur Rechenschaft, ist sie ja geradezu gezwungen, sich im privaten Bereich (wo etwa andere Regeln gelten?) zu betätigen.