Die Sozialversicherungsträger kämpfen mit einem Corona-bedingten Milliardenloch. Die Einnahmenausfälle betragen zwischen 10 und 17 Prozent. Dachverbandsvorsitzende Ingrid Reischl fordert, dass der Bund einspringt.
Wien. Die neue Vorsitzende im Dachverband der Sozialversicherungsträger, die leitende Sekretärin des ÖGB, Ingrid Reischl, fordert vom Bund einen finanziellen Ausgleich für die durch die Corona-Krise verursachten Verluste. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle gerettet werden, nur die Sozialversicherung nicht“, sagte Reischl im APA-Interview.
„Die Sozialversicherung kann die Corona-Kosten nicht alleine tragen“, meinte die sozialdemokratische Arbeitnehmervertreterin, die mit 1. Juli turnusmäßig den Vorsitz im Dachverband vom Arbeitgebervertreter Peter Lehner (ÖVP) von der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS) für ein halbes Jahr übernommen hat. „Der Bund muss einspringen.“
Weil die Sozialversicherungen zu einer einnahmenorientierten Ausgabenpolitik verpflichtet seien, würde andernfalls Geld für Gesundheitsleistungen fehlen. Und Leistungskürzungen, höhere Beiträge oder Selbstbehalte kommen für Reischl nicht infrage.
Wie viel Geld den Sozialversicherungen wirklich fehlen wird, kann die Dachverbands-Chefin momentan noch nicht genau sagen. Die vom derzeitigen ÖGK-Obmann Andreas Huss genannten 600 Millionen bis eine Milliarde Euro allein für seine Österreichische Gesundheitskasse hält Reischl für ein „realistisches Szenario“. Lehner hatte Huss hingegen Panikmache vorgeworfen.
Einnahmenausfall von 10 bis 17 Prozent
Reischl verwies darauf, dass die Sozialversicherungen allein bei den tatsächlich abgeführten Beiträgen im April ein Minus von 9,1 Prozent im Vergleich zum Voranschlag verzeichneten. Und wenn man Stundungen für Betriebe hinzurechnet, liege das Minus im April sogar bei 17,2 Prozent. Wie viel von den gestundeten Beiträgen nicht mehr hereinkommen, weil die Firmen in Konkurs gehen, lasse sich derzeit nicht abschätzen.
Im Gegensatz zu Lehner strebt Reischl auch eine Vereinheitlichung von Kassenleistungen nicht nur innerhalb der ÖGK, sondern auch zwischen den Trägern an. Für gleiche Beiträge solle es auch gleiche Leistungen geben, „mein Ziel sind einheitliche Leistungen für alle Versicherten“. Dabei müsse man berücksichtigen, dass es Träger mit und ohne Selbstbehalte gebe, sagte Reischl, die Selbstbehalte grundsätzlich kritisch sieht.
Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern in den Sozialversicherungen beurteilt Reischl unterschiedlich. In der PVA und der AUVA sei es gut, „in der ÖGK etwas schwieriger und in der Dachorganisation am schwierigsten“. Das liege auch an den handelnden Personen. Unter der türkis-blauen Bundesregierung wurde im Zuge einer Neuordnung die ÖGK geschaffen, in der alle Gebietskrankenkassen zusammengeführt sind und die Macht der Unternehmer und der ÖVP im gesamten SV-Bereich massiv ausgebaut wurde. Gerade in der Krise zeigt sich, dass der Kapitalismus nicht in der Lage und auch nicht dafür geschaffen ist, die soziale Sicherheit der Menschen dauerhaft zu gewährleisten. Das bemerken offenbar auch die Verantwortlichen der Sozialdemokratie, schrecken aber natürlich davor zurück, dies auch so zu formulieren. Daher werden SPÖ und FSG weder aktuelle noch allgemeine Probleme lösen können, sondern sind – reformistischen Forderungen zum Trotz – Teil des größeren Problems, das nun mal Kapitalismus heißt.
Siehe auch unsere früheren Berichte und Analysen zu diesem Thema: ÖGK: Droht ein Millardenloch im österreichischen Gesundheitssystem? / Österreichische Gesundheitskasse: 600 Mio. bis 1 Mrd. staatliche Hilfe gefordert
Quelle: MSN/APA