Kommentar von Otto Bruckner, stellvertretender Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)
Was wir mit der scheibchenweisen Veröffentlichung von Chatnachrichten des Bundeskanzlers und seines engsten Umfelds zu sehen bekommen, ist „business as usual“, schreibt der Herausgeber und Chefredakteur des Magazins Profil, Christian Rainer. Sein Blatt gehört zu einem Rechercheverbund mit ORF-ZIB2 und der Tageszeitung Der Standard, der viele dieser Nachrichten aus den Führungszirkeln des türkisen Hofstaates erst bekannt werden ließ. Rainer, dessen Blatt sowohl Raiffeisen, als auch den Kurz-Freund und Immobilienspekulanten Rene Benko als Eigentümer hat, tut sich schwer damit, seine Rolle zu finden. Einerseits wird nun gegen seine Haberer ermittelt, wie Bilder aus vergangenen Tagen zeigen, andererseits wollen Teile seiner Redaktion auch ein wenig zu den Aufdeckern gehören.
Also schreibt er – wie andere regierungsnahe Journalisten auch – dass die Postenschacherei und Parteibuchwirtschaft ohnehin nichts Neues sei. Das soll der Entlastung von Kurz und Co. dienen, und ist dennoch nicht ganz falsch. Jahrzehntelang war es üblich, dass die beiden Systemparteien SPÖ und ÖVP in ihren jeweiligen Einflussbereichen dafür sorgten, dass alles in der Familie bleibt. Jede Wiener Hausmeisterin musste ebenso ein SPÖ-Parteibuch haben, wie jeder niederösterreichische Lagerhaus-Arbeiter eines der ÖVP. Die Straßenmeistereien dienten quer durch die Bundesländer der Versorgung von Parteigünstlingen mit Jobs und im sozialdemokratisch-feudalen Burgenland war es „business as usual“, dass der Landeshauptmann selbst Aufnahmegespräche mit Krankenschwestern führte.
Dieses System fand erst recht seine Fortsetzung in den oberen Etagen. Eine der drei Säulen der Sozialdemokratie, die Konsum-Genossenschaft, wurde durch völlig überforderte Manager, denen im echten Leben nicht einmal die Leitung einer Filiale anvertraut worden wäre, in die Luft gesprengt, und damit die Monopolbildung im Handel beschleunigt.
Der ÖGB verlor viel Geld durch den Kollaps seiner Bank, der BAWAG, in der kriminelle und größenwahnsinnige Manager sich einbildeten, mit Gewerkschaftsgeldern Spekulationsgeschäfte betreiben zu müssen. Selbstredend waren auch diese Banker in erster Linie durch ihre Loyalität zur ÖGB-Spitze aufgestiegen. Dass sie dem damaligen ÖGB-Präsidenten Fritz Verzetnisch ein günstiges Penthouse im ersten Wiener Gemeindebezirk überließen, wird ihrer Karriere nicht geschadet haben.
Während in der Zeit der SPÖ-Alleinregierung unter Bruno Kreisky noch ein gewisser Reformanspruch erkennbar war, der das Postenschacher- und Korruptionsgeflecht bemäntelte, wird in den 2000er-Jahren ein solcher Anspruch kaum mehr gestellt. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Reformspielräume durch die Konterrevolution in den sozialistischen Ländern Europas und die Langzeitoffensive des Kapitals verengt wurden. Die SPÖ wird, sieht man von ihrer traditionellen Hochburg Wien ab, in vielen Bereichen von den Futtertrögen der Macht verdrängt.
An die Macht kommen ideologiefreie Karrieristen, die von einflussreichen Kapitalgruppen als willfährige Marionetten verwendet werden können. Unter den Fittichen des Sozialistenhassers Wolfgang Schüssel breitete sich ein Netzwerk aus, das zum Teil heute noch die Gerichte beschäftigt. Der Jungstar seiner Kabinette, Finanzminister Karl-Heinz Grasser, wurde erstinstanzlich (nicht rechtskräftig) zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, während der ehemalige Innenminister Ernst Strasser sowie der Klubobmann des Koalitionspartners FPÖ/BZÖ, Peter Westenthaler, die Haftstrafen schon abgesessen haben. In Kärnten wurde gegen große Teile der früheren blau-schwarzen Landesregierung strafrechtlich ermittelt.
Im Kabinett des laut erstinstanzlichem – nicht rechtrskräftigen – Urteil kriminellen Finanzministers Grasser startete der heutige ÖBAG-Geschäftsführer Thomas Schmidt seine Karriere in der Politik. Wie die öffentlich gewordenen Chats zeigen, ist er Teil einer verschworenen Clique rund um Bundeskanzler Sebastian Kurz, die im Kopf weitgehend ideologiefrei und in erster Linie auf ihre persönliche Karriere bedacht ist. Dass solche Leute ideale Werkzeuge in den Händen einflussreicher Kapitalgruppen sind, ist evident. Sie würden auch die ÖVP auflösen, wenn es ihren Verbleib in den Komfortzonen der Staatsmacht sichern würde. Dass diese Truppe viel eher von den Ermittlern der Justiz, als von der Opposition aus dem Amt gejagt wird, ist bezeichnend für das politische System in Österreich.
Das Kapital muss sich nicht sorgen, denn es hat genug Alternativen. So wie in der ÖVP Leute bereitstehen, die nach dem Ende der Kurz-Clique einen störungsfreieren Ablauf der Regierungsgeschäfte besorgen könnten, gibt es ja auch noch die SPÖ, die Grünen, die NEOS und die FPÖ. Sehr gerne würden da auch einige Linke mitspielen, die vom Einzug einer neuen Liste in den nächsten Nationalrat träumen. Einige haben schon ihre von der Wahrnehmung der Realität ungetrübte Vision zum Ausdruck gebracht, dann gleich Teil einer rosa-grünen Regierung zu sein.
Wie dem auch sei: Das Kapital hat viele Parteien zur Verfügung, die seine Interessen umzusetzen bereit sind. Die Arbeiterklasse und die unteren Volksschichten haben auf ihrer Seite nur ganz wenige politische Kräfte. Das Konzept sollte aber auch nicht sein, den Menschen zu erzählen, dass etwas „für sie“ gemacht wird, wie das ÖGB und SPÖ seit Jahrzehnten tun. Dieses Versprechen führte direkt zum Erstarken der FPÖ, denn immer mehr durchschauten, dass es nicht eingelöst wird, und hielten die blauen Krakeeler fälschlicherweise für eine Arbeiterpartei.
Eine wirkliche Arbeiterpartei hat andere Aufgaben, nämlich der Arbeiterklasse die Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, damit sie selbst für ihre Interessen kämpfen kann. Dazu zählen Aufklärung, Bildung, Organisierung und der Aufbau starker Kampfstrukturen, die es mit den zahlreichen Ordnungsmächten des Kapitals aufnehmen können. Wir haben die Partei der Arbeit vor acht Jahren gegründet, um diesem Ziel zu dienen, und diese Zeitung hier ist ein weiteres Mosaiksteinchen. Es braucht aber noch viel mehr, etwa Basisgewerkschaften, die unabhängig vom Kapital und von Dienstgebern sind, und nur den Interessen ihrer Mitglieder dienen. Es braucht Kommunalpolitiker, die den unteren Volksschichten und der Arbeiterklasse dienen. Es braucht Menschen mit Herz und Verstand aus allen Schichten des Volkes, und ja, es braucht auch demokratisch gesinnte Polizistinnen und Polizisten, Richterinnen und Staatsanwälte, Heeresangehörige, Journalistinnen und Journalisten, die ihre Aufgabe darin sehen, die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten und zu schützen. Das Kapital ist ein starker Gegner, und die Frage der Macht kann eines Tages nur stellen, wer ebenfalls stark aufgestellt und in allen Schichten des Volkes verankert ist.