Ein Nachruf von Otto Bruckner, stellvertretender Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA).
Die Kremser VOEST-Siedlung, wo er aufgewachsen ist, sollte Trauer tragen. Erwin Riess, der Autor, Stückeschreiber und Essayist, der als Ferialarbeiter auch selbst zu den VOEST-Hacklern gehörte, ist im Alter von 65 Jahren gestorben. Mit Fug und Recht kann man sagen, dass der seiner Herkunft stets treu blieb und ein kritischer, zuweilen bissiger, aber verlässlicher Intellektueller an der Seite der Arbeiterschaft war.
Erwin, der sich der glitschigen Seichtigkeit des linksliberalen Mainstreams stets verweigerte, war der Erschaffer des Herrn Groll. Dieser in zahlreichen Artikeln und Büchern zumeist auf Reisen oder bei der Schiffsbeobachtung an der Donau befindliche kritische Geist im Rollstuhl wird begleitet vom Dozenten, seinem Pendant aus der Welt der Sozialwissenschaften. Erwin, selbst nach einem schweren Rückenmarksleiden in jungen Jahren, das zu spät als Tumor erkannt wurde, an den Rollstuhl gefesselt, ließ seine Figur Groll schonungslos Dummheit und Arroganz geißeln. Er regte sich über die Ignoranz gegenüber behindertengerechtem Bauen ebenso auf wie über die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse und die Inkompetenz der Politik. Herr Groll war historisch wie nautisch versiert und ging keinem Disput mit dem Dozenten aus dem Weg.
Nach dem Sieg der Konterrevolution schrieb Erwin Riess für die Zeitung „Der Streit“ im Jahr 1992 einen Beitrag mit dem Titel „Habsburgs Rache. Die Revolution der kleinen Leute ist tot.“ Er lässt darin einen alten Kommunisten sagen: „Es ist nicht zu leugnen, dass die kleinen Leute – im Osten wie im Westen – verloren haben. (…) Sie werden jetzt aufs neue verhöhnt und ausgeplündert. Einige Jahrzehnte lang war dies in Europa nur begrenzt möglich. Nicht mehr, aber auch nicht weniger war der Sozialismus der kleinen Leute. Nichts ist dümmer, als zu sagen, es war kein Kommunismus, nichts ist schäbiger, als besserwisserisch zu verkünden, es wäre für ihn zu früh gewesen, der Kommunismus war 1917 höchst an der Zeit – und heute ist er überfällig“.
Es gibt leicht zugängliche Sammlungen der Ausbildungen, beruflichen Stationen, Werke und Auszeichnungen von Erwin Riess. Daher sei nur eine seiner vielen Facetten noch hervorgehoben: Er war von 1984 bis 1994 wissenschaftlicher Referent für behindertengerechtes Bauen im österreichischen Wissenschaftsministerium. Sein diesbezügliches Engagement trug viel zu Verordnungen und Normen bei, die bei Neubauten beachtet werden müssen. Er bezeichnete sich selbst als Behindertenaktivisten und trat in vielfältiger Weise für eine Verbesserung der Lebensbedingungen behinderter Menschen ein.
Erwin Riess lebte zuletzt in Kärnten und Wien-Floridsdorf.
Unsere aufrichtige Anteilnahme gilt seinen Liebsten, seinen Freundinnen und Freunden und den zahlreichen Verehrern seiner Literatur und Lebensart.