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Kapitalistische Widersprüche und Sozialismus in Krise und Pandemie

Auch das Kapital kämpft gegen das Kapital: Konkurrent gegen Konkurrent, Branche gegen Branche, Fraktion gegen Fraktion, vorübergehendes Bündnis gegen vorübergehendes Bündnis – von den imperialistischen Widersprüchen zwischen kapitalistischen Staaten einmal ganz abgesehen. Unter Umständen kann die Arbeiterklasse diese Widersprüche für ihren revolutionären Kampf ausnutzen. Sie verdeutlichen jedenfalls einmal mehr die Vorzüge der sozialistischen Planwirtschaft.

In Krisen treten bestehende Widersprüche hervor, manche vergehen, neue entwickeln sich. Dabei wird der Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung klarer und deutlicher, indem sich die wesentlichen Widersprüche, die für den Entwicklungsgang entscheidend sind, immer mehr zuspitzen und andere in den Hintergrund treten. Woran jedoch keine kapitalistische Krise rütteln kann, das ist der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit. Er ist dem Kapitalismus so inhärent wie dem irdischen Wetter die Tatsache, dass „der Regen von oben nach unten fällt“ (Brecht: Das Lied vom Klassenfeind).

Industrie versus Wintertourismus

Der Kapitalismus basiert auf der Ausbeutung des durch die Hände der Arbeiterklasse geschaffenen Mehrwerts durch die Kapitalistenklasse. Dabei kann jedes kapitalistische Unternehmen ausschließlich die Maximierung des eigenes Profits als oberstes Ziel verfolgen – „bei Strafe des Untergangs“ (Marx). Daraus folgt vielerlei – und nicht zuletzt die Tatsache, dass Unternehmen und Kapitalkräfte auch untereinander in mannigfaltige Widersprüche verflochten sind.

Ein Unternehmen versucht das konkurrierende andere Unternehmen auszustechen, ein drittes fusioniert mit einem vierten, verdrängt das erste und schluckt das zweite. Oder die konkurrierenden Unternehmen einer Branche treffen Absprachen, um dadurch die Preise ihrer Produkte künstlich zu erhöhen, um im Vergleich zu anderen Branchen eine bessere Stellung einzunehmen und auf den Staat Einfluss auszuüben. Der kapitalistische Staat wiederum versucht, all die widersprüchlichen Interessen der verschiedenen Kapitalkräfte auszutarieren und einen gemeinsamen Nenner zu finden, welcher mittels Staatsgewalt (die sowohl Zuckerbrot als auch Peitsche einsetzt) gegen die Interessen der Werktätigen zur Durchsetzung gebracht werden soll – er ist der „ideelle Gesamtkapitalist“ (Engels). Die konkrete Ausgestaltung der zwischenkapitalistischen Widersprüche unterliegt einem steten und mitunter sehr raschen Wandel. Notwendig und wesentlich ist aber, dass es sie gibt.

Gegenwärtig kann man Verschiebungen von Kräfteverhältnissen und Bündniskonstellationen infolge der Corona-Pandemie beobachten. Der Internetversandhandel und die Pharmaindustrie gehören zu den unumstrittenen Profiteuren der gegenwärtigen Krise. Den Handel trifft die Pandemie ganz unterschiedlich: Die Supermarktketten können ihren Betrieb nicht nur uneingeschränkt fortsetzen, sondern die Umsätze deutlich erhöhen und bekommen im Zweifelsfall sogar noch (vermutlich kostenlose) Arbeitskräfte durch das Bundesheer zur Verfügung gestellt. Hingegen gingen zum Beispiel einige auch größere Modeketten bereits bankrott. Der Trend Richtung Internetversandhandel hat sich nochmals verstärkt, wovon vor allem die großen Unternehmen profitieren, allen voran Amazon. Demgegenüber gebärden sich traditionelle Händler mitunter regelrecht als „Antikapitalisten“, worauf aber ohnedies nur kleinbürgerlich Gesinnte hereinfallen, die einem kleinbürgerlichen Pseudo-Antikapitalismus frönen. Große Teile der Tourismusbranche und Gastronomie befinden sich in einem Überlebenskampf und die Sieger werden gestärkt aus der Krise hervorgehen, davon abgesehen, dass vorübergehend einfach Kapital aus dieser Branche abgezogen wird. Große und kleine Unternehmen aller Branchen werden durchgerüttelt und ausgesiebt, die dadurch losgetretenen „Pleitewellen sind für den Kapitalismus aber nur ein Reinigungsprozess: Die großen Unternehmen überleben natürlich und werden noch größer, kleine und mittlere Unternehmen werden schließlich einfach neu etabliert.“

Dass es sich dabei nicht nur um Unterschiede, sondern um Widersprüche zwischen Kapitalkräften, zeigt sich beispielsweise in den gegensätzlichen politischen Empfehlungen seitens verschiedener Kapitalvertreter. Wenn etwa Wintertouristiker einen raschen Lockdown fordern, um zumindest noch ein Breckerl vom sonst so fetten Saisongeschäft zu retten, bleibt dem Präsidenten der Industriellenvereinigung im Interview mit der Tageszeitung Der Standard nur, Verständnis dafür zu heucheln und dagegen zu halten, dass die Industrie nun einmal wichtiger sei als der Tourismus. Für die Industrie aber gelte: „Einen zweiten Lockdown halten wir nicht aus“. Was die Konsequenzen dieses angeblichen nicht-Aushaltens wären, lässt Georg Knill dabei im Dunkeln: Werden die Industrieprodukte nach einem Lockdown etwa nicht mehr benötigt werden? Werden sich die Fabriken in Luft auflösen? Oder halten er und seine Industriellenkollegen es nur persönlich nicht mehr aus und sie gründen eine Selbsthilfegruppe? Werden sie die Leitung ihrer Betriebe gar bereitwillig der Arbeiterklasse übergeben? Fragen über Fragen. Fakt bleibt aber, dass die Produktionsmittel so schnell nicht verrotten und die Arbeiterklasse auch nach einem Lockdown produzieren können wird.

Zwischenkapitalistische Widersprüche

Einst waren die kapitalistischen Widersprüche Triebkräfte für die gesellschaftliche Entwicklung zur Durchsetzung der bürgerlichen Revolution und des Kapitalismus gegen den veralteten Feudalismus. Inzwischen ist jedoch der Kapitalismus selbst veraltet, was genau dadurch markiert wird, dass seine einstigen Triebkräfte vor allem zu Hemmnissen geworden sind – und zwar verglichen mit der mittlerweile realistischen Option einer sozialistischen Planwirtschaft.

Die mannigfaltigen Widersprüche des Kapitalismus bedeuten eine Schwächung des kapitalistischen Systems im Vergleich zur sozialistischen Planwirtschaft, die heute eigentlich zeitgemäß, realistisch und zur Weiterentwicklung der Nation notwendig wäre. Geplant wird natürlich auch im Kapitalismus, aber immer nur im Rahmen eines Unternehmens zum Zwecke des Profits: „Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung reproduziert sich als Gegensatz zwischen der Organisation der Produktion in der einzelnen Fabrik und der Anarchie der Produktion in der ganzen Gesellschaft“ (Engels). Die sozialistische Planwirtschaft hingegen bleibt von den Friktionen der zwischenkapitalistischen Auseinandersetzungen verschont und kann von Anfang an die gleichmäßige Entwicklung der Wirtschaftssektoren in Angriff nehmen und dabei die Bedürfnisse des ganzen Volkes als Maßstab heranziehen. 

Trotzdem bedeuten diese zwischenkapitalistischen Widersprüche nicht unbedingt eine Schwächung des Kapitals im Kampf gegen die Arbeiterklasse. Denn das Kapital wird dadurch nicht etwa vom eigentlichen Klassenkampf abgelenkt, sondern es verschärft diesen: All die zwischenkapitalistischen Auseinandersetzungen werden auf dem Rücken der Arbeiterklasse und des Volkes ausgetragen. Unter Umständen kann die Arbeiterklasse sie dennoch für ihren Klassenkampf ausnutzen und fruchtbar machen. Ihre Auswirkungen auf die Kräfteverhältnisse im Klassenkampf hängen davon ab, ob und wie sehr es gelingt, die Konsequenzen der „Anarchie der Produktion“ aufzuzeigen und Wege der Aufhebung dieser Anarchie einzuschlagen, in Richtung der gesamtgesellschaftlichen Organisierung der Produktion.

Standpunkt der Arbeiterklasse

Auch das Kapital kämpft also gegen das Kapital. Wenn aber die Arbeiterklasse gegen das Kapital kämpft und ein Teil des Kapitals gegen einen anderen – kann dann die Arbeiterklasse die zwischenkapitalistischen Widersprüche einfach dadurch ausnutzen, dass sie mit dem vorgeblich „fortschrittlichen“ Teil des Kapitals Bündnisse eingeht oder zumindest „Synergieeffekte“ nutzt? Diese Neigung mag es teilweise im Zusammenhang mit „großen Menschheitsfragen“ wie Frieden, Klimawandel oder neuerdings auch die Corona-Pandemie zu geben, nicht immer wird sie auch bewusst verfolgt oder gar explizit ausgesprochen.

Das wäre aber nichts anderes als würde man versuchen, sich Äußerungen von Wintertouristikern über einen Lockdown zunutze zu machen, oder etwa Positionierungen von Ökostromunternehmen zum Klimawandel. Die revolutionären Kräfte der Arbeiterklasse werden so etwas selbstverständlich vermeiden. Auch aus ihrer Sicht könnte angesichts der grassierenden Pandemie ein arbeiter- und volksfreundlich durchgeführter Lockdown gefordert oder die verstärkte Nutzung von „saubererem“ Strom angesichts des drohenden Klimawandels sinnvoll sein. Aber immer, wenn solch scheinbare Interessenüberschneidungen auftauchen, werden diese doch durch zwei wesentliche Unterschiede durchbrochen: Zum einen hat die Arbeiterklasse diese Interessen aus völlig anderen Gründen und zum anderen hat nur sie sie wirklich. Um bei den Beispielen zu bleiben: Die Wintertouristiker, ihre Lobbyisten und politischen Vertreterinnen und Vertreter treten nicht für einen Lockdown ein, um Menschenleben zu retten und die Gesundheit des Volks zu schonen, sondern einzig und allein aus Profitstreben (was offensichtlich ist, geht es ihnen doch ausdrücklich darum, im Winter möglichst vollen Betrieb durchzuführen). Die Ökostromunternehmen, ihre Lobbyisten sowie politischen Vertreterinnen und Vertreter treten nicht für „sauberere“ Energieformen ein, um die Auswirkungen des Klimawandels zu verringern, sondern einzig und allein aus Profitstreben (was auch nicht viel weniger offensichtlich sein dürfte, sofern man nicht völlig naiv ist). Der Standpunkt der Arbeiterklasse dazu kann nur lauten, diese Heuchelei und das dahinterstehende Profitstreben zu entlarven und die wirklichen Erfordernisse aufzuzeigen und zu begründen.

Die Arbeiterklasse hat eigenständige Interessen und sie muss diese von der eigenständigen Position her eigenständig vertreten. Zur Stärkung der Arbeiterklasse gehört auch der Versuch, die innerkapitalistischen Widersprüche auszunutzen. Und das heißt: Sie verfolgen, sie analysieren, ihre Bedeutung für den Kampf der Arbeiterklasse verstehen lernen und diese propagieren. Und zwar stets verbunden mit der Frage: Wie könnte eine Volkswirtschaft agieren, die nicht an kapitalistischem Profit, sondern an den Bedürfnissen des Volks orientiert ist und dementsprechend gesellschaftlich geplant wird?

Vorzüge des Sozialismus

Natürlich hätte auch eine sozialistische Planwirtschaft mit einer Pandemie zu kämpfen. Sie hätte jedoch ganz andere Bedingungen und Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Zunächst einmal würde sie der Gewissheit, dass früher oder später eine vergleichbare Pandemie kommen könnte, schon im Vorfeld Taten folgen lassen und sich – wie auf andere mögliche Katastrophen – entsprechend darauf vorbereiten. Sie wäre dazu erstens in quantitativ viel größerem Maß imstande als der Kapitalismus: Weil die sozialistische Planwirtschaft produktiver ist als die kapitalistische Anarchie und weil für sie Vorhaben von längerfristigem Nutzen integraler Bestandteil sind, anstatt dass diese mühsam gegen kurzfristige Profitinteressen ankommen müssen. Zweitens wären solche Vorbereitungen qualitativ von ganz anderer Natur, denn auch hier würde schlagend werden, dass es um die Bedürfnisse des Volks geht: Die Verschiebungen der Bedürfnisse in verschiedenen Katastrophenszenarien könnten bereits antizipativ durchgespielt werden, insbesondere auch die Bedürfnisse der Bedürftigsten und Gefährdetsten.

Während einer Pandemie, wie wir sie gegenwärtig erleben, wäre ein wesentlicher Unterschied schon einmal die Abwesenheit von sozialen Ängsten, Armut, Arbeitslosigkeit, Ohnmacht und Perspektivlosigkeit im Sozialismus. Der Kapitalismus schafft es derzeit, dass viele Arbeiterinnen und Arbeiter der gesundheitlichen Bedrohung gar nicht richtig entgegentreten, geschweige denn sie in den Fokus nehmen können, da sie gänzlich durch die vom Kapital aufgebürdeten sozialen Bedrohungen gebunden sind und tatsächlich mehr ums finanzielle und soziale als ums gesundheitliche Überleben kämpfen müssen. Diese Probleme gäbe es in einer sozialistischen Gesellschaft nicht, man könnte sich in viel stärkerem Maß der Bekämpfung der Pandemie widmen und dabei an einem Strang ziehen.

Noch so manch weitere Probleme wären der sozialistischen Gesellschaft fremd: Ihr bliebe das Jammern der Industriellen genauso erspart wie das Zetern der Wintertouristiker. Das schont die Nerven, darüber hinaus geht es aber natürlich auch ums Eingemachte – schließlich ist dieses Gejammer und Gezeter Ausdruck des Klassenkampfes sowie harter Auseinandersetzungen zwischen Kapitalisten und Kapitalgruppen. Im Sozialismus wären die Industrien und großen Hotellerie- und Gastronomieunternehmen, um beim Beispiel zu bleiben, ohnehin in gesellschaftlicher Hand. Wenn diese Betriebe aber nicht dem Profit, sondern den Bedürfnissen des Volkes dienen, so kann es ihrer Aufgabe auch ohne weiteres einmal entsprechen, dass die Räder vorübergehend stillstehen. Und für den Fall, dass kleinere Betriebe noch privat geführt sein sollten und nun in Probleme geraten – könnte es eine gute Gelegenheit sein, das zu ändern. 

Selbstverständlich wäre auch eine sozialistische Gesellschaft – und in Krisensituationen vor allem ihre Führung – vor die Frage der Abwägung gestellt, welche Pandemiebekämpfungsmaßnahmen in einer konkreten Situation sinnvoll und notwendig sind, zumal für viele Maßnahmen Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen in der Packungsbeilage stehen könnten. Und auch in einer sozialistischen Gesellschaft würde gelten, dass rasche Maßnahmen zu einer niedrigeren Verbreitung in der Zukunft und lasche Maßnahmen zu einer größeren Verbreitung und letztlich zur Notwendigkeit schärferer Maßnahmen in der Zukunft führen würden. Vielleicht würde man auch in einer sozialistischen Gesellschaft abwägen, dass es nicht in jeder Situation darum geht, um jeden Preis jede einzelne Infektion zu verhindern. Doch was in jedem Fall ausgeschlossen wäre, wäre das, was hier und jetzt geschieht: Am Gängelband des Kapitals führt uns die Regierung mit offenen Augen, aber mit Brett vor dem Kopf, am rechtzeitigen Lockdown vorbei in eine formidable Krise des unterfinanzierten Gesundheitssystems, auf Kosten von Menschenleben und der Volksgesundheit. Oder ist es kein Brett, sondern ein Spiegel, um stets den Auftraggeber, der hinter der Regierung steht, im Auge behalten und seine Wünsche von den Lippen lesen zu können? Im Interesse des Kapitals geht die Regierung des kapitalistischen Staates offensichtlich gerne auch über Leichen.

Quelle: Der Standard

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