Zwischen Sparpolitik, Zwei-Klassen-Medizin und Personalmangel – warum das Gesundheitssystem nicht den Menschen, sondern dem Kapital dient. Österreichs Gesundheitssystem gilt im internationalen Vergleich noch immer als solide. Doch dieser Ruf trügt. Die COVID-19-Pandemie wirkte wie ein Brennglas auf ein System, das schon lange vor dem Kollaps stand – und das nun immer sichtbarer nicht den Bedürfnissen der Bevölkerung, sondern den Zwängen kapitalistischer Verwertungslogik folgt.
Die Misere ist kein Betriebsunfall, sondern Ergebnis einer jahrzehntelangen politischen Linie, die Gesundheit nicht als gesellschaftliche Aufgabe, sondern als betriebswirtschaftlich steuerbare Ware behandelt. Das System ist krank – und seine Patientinnen und Patienten ebenso.
Gesundheit im Kapitalismus: Nur so viel wie das System verträgt
Das heutige Gesundheitssystem entstand in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext des Kalten Kriegs, unter dem Druck der Arbeiterbewegung und im Schatten der sozialistischen Staaten. Die bürgerlichen Regierungen waren gezwungen, Zugeständnisse zu machen. Doch je nach herrschender Kapitalismusverwaltung – von sozialpartnerschaftlich bis neoliberal – wurde das System laufend angepasst, privatisiert, verschlankt.
Spätestens seit den 1990er-Jahren hat sich die Logik grundlegend verschoben: Gesundheit soll rentabel, effizient und kontrollierbar sein. Die Verantwortung wird individualisiert, die Versorgung segmentiert – in ein öffentlich unterfinanziertes und ein florierendes privates System.
Das zeigt sich besonders deutlich an der zunehmenden Kommerzialisierung. Öffentliche Spitäler werden wie Unternehmen geführt, strukturiert in Holdings, mit Patientinnen und Patienten als „Kundinnen und Kunden“. Leistungen werden nicht nach Bedarf, sondern nach Kennzahlen erbracht. Personal wird auf Kante genäht, und die Arbeitsbelastung ist entsprechend katastrophal – nicht erst seit Corona. Löhne, Schichtarbeit, Wochenenddienste: unattraktiv. Die Folge: akuter Personalmangel in der Pflege, überlastete Ärztinnen und Ärzte, wachsende Frustration.
Zwei-Klassen-Medizin in Zahlen und Alltag
Der Trend zur Privatisierung der Gesundheitsversorgung lässt sich statistisch wie praktisch belegen. Allein zwischen 1985 und 2020 wurden in Österreich 15 % der Krankenhäuser geschlossen, 16 % der Betten gestrichen – über 12.000 in Summe. Besonders der ländliche Raum leidet unter Versorgungslücken. Österreich liegt heute bei Spitals- und Intensivbetten pro Einwohnerin und Einwohner deutlich hinter Deutschland.
Zugleich nimmt die Zahl der Privatkliniken zu, nicht selten über das PRIKRAF-Gesetz direkt mitfinanziert durch Sozialversicherungsbeiträge – also durch die arbeitende Bevölkerung. Die Gewinne fließen allerdings in private Taschen. Auch Kassenärztinnen und Kassenärzte betreiben zunehmend Privatpraxen, um ihr Einkommen aufzubessern. Das Resultat: Wer zahlt, wird behandelt. Wer nicht, wartet – auf einen Termin, eine OP, auf Hilfe.
Wie drastisch das sein kann, zeigt der Fall einer 46-jährigen Linzerin, die 405 Tage im Krankenstand war – weil sie auf eine Bandscheibenoperation warten musste, die öffentlich erst nach über einem Jahr möglich gewesen wäre. Die OP auf Krankenschein hätte ihre Erwerbsfähigkeit gefährdet. Schließlich zahlte sie privat: 5.600 Euro. Sie konnte es sich gerade noch leisten – viele können das nicht.
Die Fusion der Krankenkassen: Ein trojanisches Pferd
Ein weiteres Beispiel für die systematische Aushöhlung der solidarischen Gesundheitsversorgung ist die 2020 vollzogene Fusion der neun Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Kritikerinnen und Kritiker – wie die Partei der Arbeit Österreichs (PdA) – warnten bereits damals, dass dies kein Verwaltungsakt, sondern ein ideologisch motivierter Umbau war: Weg von Mitbestimmung, hin zu mehr Einfluss für Unternehmervertretungen.
Die PdA schrieb in einer Stellungnahme 2020: „Die Fusion diente dem Zweck, den Unternehmervertretern ein Durchgriffsrecht zu sichern und den Einfluss der Vertreter der Versicherten zurückzudrängen.“ Seither ist es einfacher, bundesweit Leistungen zu kürzen, Spitäler zu schließen und Rehabilitationseinrichtungen abzubauen – ohne Widerstand auf Länderebene.
Während über das drohende Milliardenloch in der ÖGK debattiert wird, bleibt unerwähnt: Zahlreiche Unternehmen schulden der Kasse Millionenbeträge, und gesetzliche Lücken erlauben es, Sozialabgaben legal zu umgehen. Gleichzeitig beschloss bereits die ÖVP-Regierung unter Sebastian Kurz eine Beitragssenkung für Unternehmer bei der Unfallversicherung – mit langfristig dramatischen Folgen für deren Finanzierung.
Primärversorgung und Prävention: Lückenhaft und unterfinanziert
Auch in der Primärversorgung ist das System ausgehöhlt. Die Zahl der Kassenärztinnen und Kassenärzte stagniert oder sinkt, während die Zahl der Wahlärztinnen und Wahlärzte explodiert. Schon 2018 standen rund 7.100 Kassenärztinnen und Kassenärzte über 10.000 Wahlärztinnen und Wahlärzten gegenüber. Gleichzeitig blieben fast 130 Kassenstellen unbesetzt – besonders im ländlichen Raum.
Psychische Versorgung? Mangelhaft. Auf einen Kassenplatz zur Psychotherapie warten Betroffene teils mehr als sechs Monate. Prävention? Findet kaum statt. Viele Volkskrankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnten verhindert werden – doch Gesundheitsaufklärung, niedrigschwellige Programme und Früherkennung sind unterentwickelt.
Selbst die Gesundheitsausgaben unterliegen einer politischen Deckelung – seit 2013 steigen sie nicht mehr nach Bedarf, sondern nach technokratisch definierten Grenzen. Volksgesundheit wird zur Nebensache, Haushaltsdisziplin zur Priorität.
Ein Systemwandel ist notwendig – aber nicht im Rahmen dieses Systems
All diese Entwicklungen sind nicht zufällig, sondern notwendige Konsequenz eines Systems, in dem Gesundheit keine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, sondern Ware, Dienstleistung und Profitquelle. In einem kapitalistischen Staat steht nicht die Gesundheit der arbeitenden Männer und Frauen im Zentrum – sondern der Erhalt der Kapitalverwertung.
Die Partei der Arbeit Österreichs fordert deshalb radikale strukturelle Änderungen, wie die Rückabwicklung der Kassenfusion, die Entmachtung der Unternehmervertretung in der Selbstverwaltung, einen Stopp der Schließungen von Reha- und Spitalseinrichtungen, eine ausreichende Finanzierung der Unfallversicherung durch Unternehmerbeiträge, die Rekommunalisierung und Demokratisierung der Gesundheitsversorgung und die Gesundheit als öffentliches Gut statt als Ware.
Doch solche Forderungen lassen sich im bestehenden System nicht vollständig realisieren. Die Kommerzialisierung ist kein Betriebsunfall, sondern Systemkern. Eine Gesundheitsversorgung im Dienste der Menschen braucht einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel – hin zu einer Organisation nach den Bedürfnissen der Bevölkerung, nicht nach Profitinteressen. Dies ist nur in einer sozialistischen Gesellschaft möglich.