Während Regierungen in Europa und Nordamerika von „Deeskalation“ und „fragilen Waffenruhen“ sprechen, wird die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen einem weiteren tödlichen Kapitel eines fortgesetzten Völkermords ausgesetzt. Ein schwerer Wintersturm hat in den vergangenen Tagen ein Gebiet getroffen, das Israel zuvor systematisch zerstört hat. Regen, Sturm und Kälte sind dabei keine Naturkatastrophe, sondern wirken als tödlicher Verstärker einer bewusst herbeigeführten humanitären Katastrophe.
Hunderttausende Menschen leben in Gaza in Zelten, notdürftigen Unterkünften oder den Ruinen zerbombter Häuser. Diese Behausungen bieten keinen Schutz vor Überflutungen, Wind oder sinkenden Temperaturen. Zelte stehen knöcheltief im Schlamm, Abwasser und Müll werden durch den Regen in die Lager gespült, Kinder waten barfuß durch braune Brühe. Familien berichten, dass sie keine trockene Kleidung, keine Matratzen und keine Decken mehr besitzen. Alte Menschen und Kranke müssen inmitten des Unwetters erneut fliehen, weil die provisorischen Unterkünfte unbewohnbar geworden sind.
Seit Beginn des Sturms sind zahlreiche Gebäude eingestürzt – Häuser, die zuvor durch israelische Bombardierungen grundlegend und in ihren Grundfesten beschädigt wurden. Mindestens zehn Menschen kamen allein in den letzten Tagen ums Leben, darunter mehrere Kleinkinder und Babys. In einem Fall starb ein Säugling an Unterkühlung, nachdem er die Nacht im Wasser liegend verbracht hatte. Ein Großvater schilderte, wie das Kind blau vor Kälte ins Krankenhaus gebracht wurde, wo es aufgrund der geschwächten Organe starb. Das sind keine tragischen Einzelfälle, sondern direkte Folgen einer Politik, die Gaza bewusst die jetzige humanitäre Katastrophe hergeführt hat.
Außerdem verletzt Israel den sogenannten Waffenstillstand andauernd durch Angriffe, Bombardierungen und die Aufrechterhaltung der Blockade. Der Zugang zu lebenswichtiger Hilfe wird systematisch eingeschränkt. Hilfsorganisationen berichten übereinstimmend, dass nicht annähernd jene Mengen an Zelten, Baumaterialien, Pumpen, Medikamenten und Lebensmitteln in den Gazastreifen gelangen, die vereinbart oder dringend nötig wären. Wasserpumpen zur Entwässerung der Lager werden blockiert, Baumaterialien nicht zugelassen, Wohncontainer gar nicht erst geliefert. Stattdessen verteilen UN-Organisationen leere Mehl- und Reissäcke, damit die Bevölkerung sie als notdürftige Sandsäcke gegen das eindringende Wasser verwenden kann.
Besonders zynisch ist, dass Israel und seine Verbündeten diese Zustände nicht nur hinnehmen, sondern politisch absichern. Die zerstörte Kanalisation, die überfluteten Abwassergruben, die fehlende medizinische Versorgung und der Medikamentenmangel sind das Ergebnis monatelanger Bombardierungen und einer Blockadepolitik, die gezielt auf Zermürbung abzielt. Der Winter wirkt dabei wie eine zusätzliche Waffe: Kälte, Nässe und Krankheit treffen eine Bevölkerung, der zuvor jede Möglichkeit genommen wurde, sich zu schützen.
Mehr als eineinhalb Millionen Menschen leben unter Plastikplanen, in zerlumpten Zelten oder offenen Ruinen. Für sie bedeutet der Sturm nicht schlechtes Wetter, sondern akute Lebensgefahr. Gleichzeitig setzt Israel seine militärischen Angriffe fort, wie zuletzt im Flüchtlingslager Jabalia, wo erneut Zivilistinnen und Zivilisten getötet und verletzt wurden. Selbst Naturgewalten werden so Teil eines Krieges gegen die Existenz eines ganzen Volkes.
Was sich derzeit in Gaza abspielt, ist kein humanitäres Versagen, sondern das Resultat politischer Entscheidungen. Der israelische Staat nutzt Zerstörung, Blockade und Entzug von Hilfe als Mittel, um Gaza dauerhaft unbewohnbar zu machen und die palästinensische Bevölkerung zu brechen. Die euro-atlantischen Staaten tragen Mitverantwortung, indem sie diese Politik militärisch, diplomatisch und medial decken.
Das zeigt sich auch darin, dass Israel parallel zur humanitären Katastrophe die faktische Zerschlagung des Gazastreifens vorantreibt. Mit der sogenannten „gelben Linie“ etabliert die israelische Armee eine neue militärische Trennlinie, die Gaza dauerhaft in einen israelisch kontrollierten und einen abgeriegelten palästinensischen Teil spaltet. Diese Linie wird zunehmend zur Todeszone: Bewohner berichten von nahezu täglichen Angriffen, Vertreibungen und der schrittweisen Verschiebung der Grenze weiter in palästinensisches Gebiet – trotz kaum vorhandener Verstöße von palästinensischer Seite gegen den Waffenstillstand. Geplant ist eine dauerhafte israelische Militärpräsenz samt neuer Stützpunkte sowie die Errichtung streng überwachter Lager, in die die ausgehungerte Bevölkerung faktisch gedrängt werden soll. Mehr als die Hälfte des Gazastreifens, inklusive landwirtschaftlicher Flächen und zentraler Grenzübergänge, soll so unter israelische Kontrolle geraten. Selbst humanitäre Zugänge werden dabei instrumentalisiert: Grenzöffnungen dienen ausschließlich der Ausreise von Palästinenserinnen und Palästinensern, nicht der Versorgung der Zurückgebliebenen. Damit wird immer deutlicher, dass es nicht um Sicherheit, sondern um Vertreibung, Kontrolle und die dauerhafte Zerschneidung palästinensischen Lebens geht.

Quelle: 902.gr/ORF/junge Welt





















































































