Der Beschluss der Wiener SPÖ-Gremien, in konkrete Koalitionsverhandlungen mit den Neos zu treten, hat in den sozialen Medien Hysterie bei vielen Linken ausgelöst. Bekommt Wien jetzt eine neoliberale Stadtregierung? Wohl kaum, außer die SPÖ selbst geht weiter in Richtung Neoliberalismus.
Wien. Nachdem Bürgermeister Michael Ludwig bekanntgegeben hatte, dass seine Partei, die SPÖ-Wien, in konkrete Koalitionsverhandlungen mit den Liberalen treten werde, wurde von Linken verschiedener Parteizugehörigkeit unter Verweis auf die Programme der Neos sofort eine Stimmung der Hysterie verbreitet. Ganz so, als wäre der bisherige Juniorpartner der SPÖ, die Grünen, der Garant des Fortschritts. Vergessen wurde dabei offenbar, dass die Grünen mit ihrem Planungsressort den Spekulanten (fast) jeden Wunsch erfüllten und sich ihr Ex-Gemeinderat Christoph Chorherr sogar vor Gericht verantworten wird müssen. Vergessen, dass von Vizebürgermeisterin Birgit Hebein statt einer vernünftigen Verkehrspolitik chaotische Pop-up-Projekte durchgeführt wurden, die für mehr Ärger als sonst irgend etwas sorgten. Und schließlich hat man wohl auch vergessen, dass die Koalition mit der ÖVP auf Bundesebene auch die Handschrift von Birgit Hebein und den Wiener Grünen trägt, denn die Noch-Vizebürgermeisterin war Mitglied des Verhandlungsteams.
SPÖ macht längst neoliberale Politik
So verständlich es ist, dass die Wiener Grünen mit dieser Entscheidung der SPÖ alles andere als glücklich sind, so weltfremd mutet die Hysterie in Teilen der Linken an. Etwa die Partei „Links“ verkündete großspurig: „Ludwig denk nicht einmal dran!“, und die Sozialistische Jugend Wien setzte Ludwig ebenfalls ein Ausrufezeichen entgegen: „In Wien darf es keine Zugeständnisse an neoliberale Politik geben!“. Das wird den Bürgermeister sicher sehr beeindrucken.
Die SJ scheint überhaupt in einer anderen Stadt zu leben. Denn neoliberale Politik wird von der SPÖ-Wien längst gemacht. Es wurden sale-and-lease-back-Modelle bei Wiener Linien und Kanal umgesetzt, es wird ausgegliedert, was das Zeug hält, und damit der politischen Kontrolle entzogen, Gemeindewohnungen werden gerade als Augenauswischerei gebaut und private Bauträger und Genossenschaften, die Eigentumswohnungen errichten, gezielt gefördert. Da braucht man nicht die Neos dazu. Die Neos braucht man als Mehrheitsbeschaffer und wird ihnen eine Spielwiese geben. Für die Grünen ist das bitter, denn jetzt sind sie voll und ganz an die ÖVP gekettet, sei es in den westlichen Bundesländern Vorarlberg, Tirol und Salzburg oder in der Bundesregierung. Und es ist reine Tagträumerei, zu glauben, die Wiener Grünen würden sich so fundamental von der Bundesebene unterscheiden. Sie sind Teil dieser Partei, die mit der ÖVP reaktionäre Politik umsetzt. In Wien werden sie gegen eine andere, kleinere bürgerliche Partei ausgetauscht, die genau so viel von ihrer neoliberalen Agenda umsetzen wird können, wie die SPÖ es will und zulässt. Das ist alles, was passiert.