Es stellt sich die Frage, ob es sich hier nur um eine taktisch-operative Entscheidung handelt, um die eigenen Truppen zu schonen, oder ob dies die größte Niederlage seit dem Einmarsch in die Ukraine ist.
Moskau. Im russischen Staatsfernsehen wurde am Dienstag ein Bericht des Befehlshabers der Truppen, die in der Ukraine im Einsatz sind, General Sergej Surovikin live übertragen. Dieser empfahl dem Verteidigungsminister Sergej Schoigu, die Truppen der russischen Föderation aus der umkämpften Stadt Cherson an das linke Ufer des Dnjepr zurückzuziehen. Als Gründe führte er an, dass die russischen Streitkräfte auf diesem Brückenkopf von der Versorgung abgeschnitten werden könnten, da die Brücke über den an dieser Stelle bereits sehr breiten Fluss nach massivem ukrainischem Beschuss unpassierbar ist, und der Transport, auch die bereits erfolgte Evakuierung von angeblich über 100.000 Bewohnern aus der Stadt, nur über Behelfsbrücken möglich ist. Als weiteren Grund führte er an, dass es die Absicht der ukrainischen Streitkräfte sein könnte, den weiter stromaufwärts gelegenen Staudamm des Khakova-Wasserkraftwerkes zu sprengen, sodass massive Überflutungen die Truppen ebenfalls von der linken Seite des Flusses isolieren könnten. Verteidigungsminister Shoigu stimmte dem Vorschlag des Generals zu.
Heftige innenpolitische Debatten in Russland
Innenpolitisch löste diese Entscheidung in Russland eine heftige Diskussion aus, gehört die Stadt und die Region Cherson doch zu jenen Gebieten, in denen von Russland Volksabstimmungen abgehalten und die anschließend in das russische Staatsgebiet integriert wurden. Nach russischem Verständnis handelt es sich also um einen Rückzug der eigenen Armee von russischem Staatsgebiet, und man kann, wie vorher schon in anderen Gebieten im Norden das Versprechen an die Bevölkerung nicht einlösen, sie vor der ukrainischen Armee zu beschützen, auch wenn ein großer Teil der Menschen evakuiert wurde. Von Gebieten, in denen die Ukraine wieder einmarschiert ist, herrscht Pogromstimmung gegenüber allen, die auch nur in Verdacht stehen, mit Russland kooperiert zu haben. Der Geheimdienst hat de facto vollkommen freie Hand und nützt diesen Persilschein auch dazu aus, Angst und Schrecken zu verbreiten.
Ein weiterer Faktor ist die Frage, ob es sich hier nur um eine taktisch-operative Entscheidung handelt, um die eigenen Truppen zu schonen, oder ob dies die größte Niederlage seit dem Einmarsch in die Ukraine ist. Dazu kommt, dass Gerüchte verbreitet werden, Russland habe dies in Gemeinverhandlungen mit den USA so vereinbart.
Nach Angaben des Generals Surovikin hat die Ukraine bei den bisherigen Kampfhandlungen um Cherson hohe Verluste von etwa 9.500 Soldaten von August bis September und 12.000 im Oktober; die russischen Verluste sind nach seinen Worten weitaus geringer. In Kiew gibt es Stimmen, die sagen, es könnte sich auch um ein russisches Täuschungsmanöver handeln, um die ukrainische Armee in eine Falle zu locken.
Quellen: military.pravda.ru/ria.ru