Der massive Bergsturz am Fluchthorn in der Silvretta ist ein unübersehbares Warnsignal: Infolge der Erderwärmung tauen im Hochgebirge Permafrostböden auf, wodurch viele Felsformationen destabilisiert werden.
Innsbruck/Landeck. Bis Sonntagnachmittag war der Südgipfel des Fluchthorns mit 3.399 m. ü. A. die höchste Erhebung dieses Bergmassivs in der Silvretta-Gruppe. Nun haben sich die Bedingungen im Grenzgebiet zwischen Tirol und Graubünden dramatisch verändert: Am 11. Juni um 15.20 Uhr brachen bei einem Bergsturz hunderttausende Kubikmeter Gestein mitsamt dem Gipfelkreuz von der Südspitze. Die Schuttmure lief über die nordwestliche Gipfelflanke über den Fluchthornferner bis ins Futschöltal, wo sie im Bereich des Hochmoores Breites Wasser erst nach zwei Kilometern zum Stillstand kam. Menschen oder Gebäude kamen dabei nicht zu Schaden. Anders verhält es sich mit dem Südgipfel des Fluchthorns, denn dieser existiert nicht mehr in bisheriger Form – ersten Schätzungen nach dürfte er nun rund 100 Meter tiefer liegen. Die höchste Erhebung ist damit ab sofort der Mittelgipfel mit 3.397 Metern.
Ein Felssturz dieses Ausmaßes ist ebenso spektakulär wie höchst ungewöhnlich für die Ostalpen. Der Tiroler Landesgeologiedienst benennt nach einer ersten Begutachtung aus der Luft das Auftauen der Permafrostböden als Ursache. In Höhen über 2.500 Metern sind Böden und Gestein üblicherweise durchgehend gefroren – diese permanente Vereisung ist relevant für die Stabilität, die „Festigkeit“ von Felsformationen. Taut das Eis auf und ab, so entstehen Lücken, Lockerungen und Wasseradern, die das scheinbar für die Ewigkeit bestimmte, „felsenfeste“ Gleichgewicht zum Kippen und Zusammenbrechen bringen können. Genau dies dürfte im Falle des Fluchthorns geschehen sein. Somit ist auch klar, dass es die Erderwärmung ist, die solche Ereignisse fördert, weswegen, so Landesgeologe Thomas Figl, in Zukunft in höheren Lagen häufiger mit ähnlichen Bergstürzen zu rechnen ist. Diese Tatsache mahnt zur Vorsicht, zur genauen Beobachtung – und zur Hinterfragung menschlicher Projekte im Gebirge, wie sie etwa Speicherkraftwerke darstellen.
Dass der Klimawandel gravierende Auswirkungen auf das Hochgebirge hat, ist indessen hinlänglich bekannt – die Problematik der Gletscherschmelze ist wahrlich schon lange kein Geheimnis mehr. Dies gilt übrigens auch für das Fluchthorn, das sich im Gemeindegebiet von Galtür befindet: Noch vor 100 Jahren waren die das Bergmassiv umgebenden Gletscher miteinander zu einem einzigen Gletschergebiet verbunden, heute sind, abgesehen vom Larainferner, alle zu isolierten Relikten geschrumpft. Im Vorfeld des Fluchthornferners ist eine Seenplatte mit sechs Bergseen entstanden. Kurz gesagt: In der Region weiß man schon länger um die Entwicklungen der Erderwärmung – und über Wetterextreme, die zu Katastrophen führen, wie das große Lawinenunglück von Galtür im Februar 1999 mit 31 Toten tragisch unter Beweis stellte. Der damalige Bürgermeister von Galtür war Anton Mattle (ÖVP), heute Tiroler Landeshauptmann. Nach dem nunmehrigen Bergsturz in seiner Heimatgemeinde hätte Mattle endgültig allen Grund, den Klimawandel ganz oben auf die politische Agenda zu schreiben.
Quelle: ORF