Der „verheerende Schlag gegen die Muslimbrüder“ könnte sich als folgenschwerer Fehler des Innenministers erweisen. Konnte der Terroranschlag in Österreich nicht verhindert werden, weil die Terrorabwehr des Verfassungsschutzes alle Kräfte für die Hilfe für die Geheimdienste in Ägypten und Israel bündelte?
Wien/Graz. „Ich war heute Früh im Einsatzstab. Wir haben einen entscheidenden Schlag gegen die Muslimbruderschaft in Österreich geführt.“ Stolz präsentiert Innenminister Nehammer am Montag, dem 9. November, seine Operation „Luxor“, die kurz davor noch „Ramses“ geheißen hatte. 930 Beamte von LVT Steiermark, Niederösterreich, Wien und Kärnten, dem BVT in Wien, COBRA und WEGA hatten in den vier Bundesländern 60 Hausdurchsuchungen in Wohnungen, Geschäften und Vereinen durchgeführt, 30 Beschuldigte einvernommen und mehr als 20 Millionen Euro Bargeld sichergestellt. Nehammer erklärt, warum der „verheerende Schlag“ dringend nötig war: Die Muslimbrüder hätten in Österreich drei Ziele verfolgt: die Islamisierung Österreichs, die Aushebelung der Demokratie und die Einführung der Scharia.
Das ist die offizielle Version. Der Akt, der der Online-Zeitung ZackZack vorliegt und unter 16 St 52/19t von der Staatsanwaltschaft Graz geführt wird, zeigt etwas anderes: Justiz und Polizei haben in der aufwendigsten Aktion in der Geschichte des Verfassungsschutzes versucht, israelische und ägyptische Behörden bei ihrem Kampf gegen Muslimbrüder und Hamas zu unterstützen. In keinem Moment der mehr als einjährigen Aktion ging es um eine terroristische Bedrohung gegen Österreich.
Am 14. Oktober beantragte die Staatsanwaltschaft Graz auf 185 Seiten beim Landesgericht für Strafsachen die Durchsuchung von 34 Wohnungen und Wohnhäusern, 15 Geschäftsräumlichkeiten, 24 PKWs und neun Vereinen. Einen Tag später gab das Gericht grünes Licht. Zwei der Vereine waren Moscheen: die Al Nur-Moschee und die Ar Rahman-Moschee in Graz. Unter den Geschäftslokalen finden sich Immobilienfirmen neben Unterstützungsvereinen für „Hinterbliebene“ und der „Islamische Friedhof Wien“. Das „Jugendhotel Edelweiss“ in der Nähe des Dachsteins wurde ebenso durchsucht wie die Privatstiftung Anas Shakfeh in Wien-Liesing, der das Hotel gehört.
„Ägypten, Gazastreifen und Israel“
Die Bargeldspürhunde der Polizei fanden gemeinsam mit den Beamten mehr als 20 Millionen Euro. Genau das stand im Auftrag des Staatsanwalts. Die Beamten sollten suchen:
- „insbesondere größere und für einen Haushalt, Verein, Stiftung oder Unternehmen nicht übliche Bargeldbeträge“ und
- „Datenträger wie Computer, Laptops, Smartphones, Mobiltelefone, Festplatte, USB-Sticks, Speicherkarten, DVD´s, CDs und schriftlichen Aufzeichnungen, Buchhaltungsunterlagen, Korrespondenzen, Dokumente, Bücher, Schriften, Werbematerial etc.“
Waffen, Munition, Sprengstoff – alles, was für die Vorbereitung eines Anschlags vor Ort benötigt wird, fehlt in der Anordnung. Der Staatsanwalt selbst glaubt nicht an Muslimbrüder-Terror in Österreich. Gestützt auf eine Analyse des niederländischen Nachrichtendienstes AIVD kommt er zum Schluss, dass die Muslimbrüder ihre Ziele in Westeuropa nicht mit terroristischen Mitteln verfolgen: „In ihrem Verhalten der westlichen Gesellschaft gegenüber zeigen sie sich kooperativ und moderat und haben (bezogen auf die Niederlande und andere Länder in West-Europa) sicherlich keine gewalttätigen Intentionen.“
Keine Waffen, keine gewalttätigen Aktionen, kein Terror in Österreich. Aber gegen wen richtet sich die Großaktion von Staatsanwalt und Verfassungsschutz? Die Antwort ist einfach: Bei der Aktion „Luxor“ ging es um Terror gegen Ägypten und Israel – und nicht gegen Österreich.
Der Staatsanwalt hat es sich leicht gemacht und den Wortlaut des § 278c – „terroristische Straftaten“ – des Strafgesetzbuchs einfach in seinen Antrag kopiert. Aber auch er konnte keine Bedrohung gegen Österreich erkennen. Also fügte er in die entscheidende Begründung „welche Taten geeignet sind, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen“ einfach „in Ägypten, Gazastreifen und in Israel“ ein.
Ein Jahr alle Kräfte gebündelt – ohne Bezug zu Österreich
Genau das hat der Innenminister bei seiner Pressekonferenz am 9. November verschwiegen. Mehr als ein Jahr ist gegen die Muslimbrüder in Österreich ermittelt worden. Mehr als 21.000 Stunden lang wurden sie von Verfassungsschützern überwacht. Mehr als 1,2 Millionen Fotos und Videos wurden von Treffen und Zusammenkünften aufgenommen. Ein Jahr konzentrierte der österreichische Verfassungsschutz alles auf die Hilfe für die Partnerdienste in Kairo und Tel Aviv. Für die Abwehr terroristischer Anschläge gegen Österreich blieb kaum etwas übrig.
Als Beamte des LVT Wien am 16. Juni 2020 mit der Video-Überwachung des späteren Attentäters bei geheimen Treffen mit Djihadisten aus Deutschland und der Schweiz begannen, mussten sie die erfolgreiche Überwachung vier Tage später abbrechen. Als der slowakische Geheimdienst NAKA den versuchten Kalaschnikow-Munitionskauf des vorbestraften Terroristen nach Wien meldete, fehlten die Beamten, um sofort nach allen Seiten zu ermitteln. Österreich war schutzlos, weil der Innenminister und seine Beamten die gesamte Terrorabwehr zu Ramses und Luxor abkommandiert hatten, und das, obwohl für Österreich selbst niemals irgendeine Bedrohung festgestellt werden konnte.
Quelle: APA-OTS