Mitgeteilt von Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i.R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.
In der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 14. Mai d. J. ist von Michael Klundt zum 110. Geburtstag von Walter Hollitscher ein lesenswerter Artikel publiziert. Es mag vielleicht interessant sein, separat dazu jenes eigenhändig maschinengeschriebene und mit einer Österreichischen Stempelmarke (20 Groschen) quasi amtliche curriculum vitae des 23jährigen Walter Hollitscher zu lesen, das er an der Universität Wien bei Abgabe seiner Doktorarbeit „Über Gründe und Ursachen des Streites um das Kausalprinzip in der Gegenwart“ eingereicht hat. Es liegt dem am 14. Juni 1934 präsentierten Rigorosenakt 12.249 der Philosophischen Fakultät der Universität Wien ebenso bei wie das Dissertationsgutachten von Moritz Schlick, dem Robert Reininger zugestimmt hat. Der Leiter des Wiener Universitätsarchivs HR Mag. Thomas Maisel war so freundlich, diese Akten zur Verfügung zu stellen.
Curriculum vitae
„Der Unterzeichnete wurde am 16. Mai 1911 in Wien als österreichischer Staatsbürger geboren. Hier und in Prag besuchte er die Volksschule, wurde dann in das deutsche Realgymnasium aufgenommen und absolvierte dort die unteren 4 Klassen. Die 5. – 8. Klasse besuchte er in dem Realgymnasium in Arnau an der Elbe [Hostinné]. Dort maturierte er auch. Seine Matura bestand er mit >Auszeichnung<. (Auch 7 seiner 8 Mittelschulzeugnisse tragen das Gesamtkalkül >vorzüglich<.) Seit seinem 13. Lebensjahr studierte er sehr eifrig die elementaren Grundlagen der Naturwissenschaften, besonders der Biologie und Astronomie. Er immatrikulierte dann in Wien im Jahre 1930 an der medizinischen Fakultät, studierte dort 4 Semester, hörte Vorlesungen, arbeitete in den Laboratorien und bestand die ersten 3 Teilrigorosen aus Physik, Biologie und Chemie mit Auszeichnung. Gleichzeitig inskribierte er ständig Vorlesungen an der philosophischen Fakultät, besonders aus Zoologie und reiner Philosophie (bei Prof. [Moritz] Schlick). Aus äusseren Gründen musste er das Medizinstudium nach dem 4. Semester aufgeben. Er immatrikulierte im 5. Semester an der philosophischen Fakultät und inskribierte Philosophie als Hauptfach und Zoologie als Nebenfach. Um seine zoologischen Vorkenntnisse, die er dem Medizinstudium und den gehörten zoologischen Vorlesungen an der philosophischen Fakultät verdankte, zu vervollkommnen, besuchte er neben weiteren zoologischen Vorlesungen das grosse zoologische Praktikum bei Prof. [Jan] Versluys und die Praktiken aus Tierphysiologie und Vererbungslehre bei Prof. [Paul] Krüger.
Der Gegenstand seiner Dissertation: >Über Gründe und Ursachen des Streites um das Kausalprinzip in der Gegenwart< hatte er bereits im 4. Semester selbst gewählt und bei Herrn Professor Schlick die Zustimmung zu diesem Thema gefunden. Er hatte sie im 7. Semester beendet und reicht sie jetzt ein, zugleich mit dem Ersuchen, zu den Rigorosen zugelassen zu werden.
Walther Hollitscher m .p.
Wien XIX. Iglaseegasse 22.“
„Beurteilung der Dissertation des cand. phil. Walther Hollitscher
Über Gründe und Ursachen des Streites um das Kausalprinzip in der Gegenwart.
Dass manche Meinung, die ein Mensch vertritt, nicht allein durch sachliche Gründe bestimmt ist, sondern auch psychologische Ursachen hat, die mit seiner Veranlagung, seiner Erziehung usw. zusammenhängen, ist eine wohlbekannte Wahrheit, die z. B. [Johann Gottlieb] Fichte in dem berühmten Satz ausgesprochen hat: >Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist<. In der vorliegenden Dissertation werden Beispiele für diese alte Wahrheit zusammengetragen, die sich auf die gegenwärtige Diskussion über das Kausalprinzip beziehen. Es ist keine Frage, dass die Stellungnahmen vieler Autoren in dieser Diskussion rein gefühlsmässig bedingt ist – das zeigt oft schon die Formulierung der Argumente, wie der Verfasser durch Anführung zahlreicher Zitate nachzuweisen sucht. Dass diese Zitate in der Arbeit einen ganz unverhältnismässig grossen Raum einnehmen, ist durch die besondere Absicht der Arbeit zu entschuldigen; weniger leicht ist es zu rechtfertigen, dass die phsychologischen Zusammenhänge nicht im einzelnen näher verfolgt werden, sondern dass die selbständigen Teile der Arbeit durchweg aus allgemeinen Betrachtungen bestehen, die selbst eigentümlich gefühlsbetont erscheinen und den Anforderungen nicht ganz genügen, die man vom systematischen und methodischen Gesichtspunkt an die Behandlung des Themas stellen muss. Die Arbeit liefert nur geringen positiven Ertrag, und besonders ist zu tadeln, dass im letzten Teile durch Anführung von statistischem Material scheinbar ein Anlauf zu einer spezielleren Behandlung bestimmter Fragen genommen wird, diese aber dann ausbleibt.
Obgleich die hervorgehobenen Mängel der Dissertation zeigen, dass der Kandidat die im Philosophischen Seminar erlernte Methode doch nicht innerlich beherrscht und nicht mit voller Objektivität anzuwenden weiss, so zeugt seine Arbeit doch von ausgebreitetem Wissen, von Scharfsinn und Denkgewandheit, und vor allem von philosophischer Fähigkeit, sodass sie m. E. als völlig ausreichende Grundlage betrachtet werden kann, um den Kandidaten zu den strengen Prüfungen zuzulassen. Ich beantrage daher Approbation.
Wien, am 10. Juli 1934
Schlick m. p.
Einverstanden. R. Reisinger 13 / 7 34. m. p.“