In offiziellen Verlautbarungen klingt es wohlwollend: Die EU betont ihren Einsatz für den Schutz von Migranten und Flüchtlingen sowie die Unterstützung lokaler Gemeinschaften in Tunesien. Zudem werden Maßnahmen ergriffen, um legale Migrationswege zu fördern und irreguläre Ausreisen zu verringern. Doch die Realität zeigt ein gänzlich anderes Bild: Tunesien verwendet die „mehr als 1,7 Milliarden Euro“ (2014–2022) EU-Hilfe, um systematisch Asylsuchende aufzuspüren und in der Wüste auszusetzen. Die Vorwürfe wurden kürzlich durch eine umfassende Recherche von Lighthouse Reports und verschiedenen europäischen Medien bestätigt.
Die unter dem Titel „Desert Dump“ veröffentlichte Recherche kommt zu dem Schluss, dass die Europäische Union wissentlich die systematische Vertreibung von schwarzen Flüchtlingen sowie Migrantinnen und Migranten in Wüsten und abgelegene Gebiete in Tunesien, Marokko und Mauretanien finanziert und teilweise direkt daran beteiligt ist. Diese Maßnahmen sollen verhindern, dass die Betroffenen in die EU gelangen.
Die Journalistinnen und Journalisten sprachen mit Asylsuchenden und nutzten deren geolokalisierte Videoaufnahmen als Beweismittel. Zudem führten sie Gespräche mit ehemaligen und aktuellen EU-Beamtinnen und ‑Beamten, Vertreterinnen und Vertretern nationaler Polizeikräfte und internationalen Organisationen. In Tunesien konnten zwischen Juli 2023 und Mai dieses Jahres 13 Vorfälle dokumentiert werden, bei denen Gruppen von farbigen Menschen in Städten oder Häfen zusammengetrieben und viele Kilometer weit entfernt in die Nähe der libyschen oder algerischen Grenze gebracht und dort ausgesetzt wurden. Die Protestbewegung „Refugees in Libya“ berichtete ebenfalls über diese rassistischen Hetzjagden und veröffentlichte entsprechende Aufnahmen. Dunkelhäutige Menschen, auch solche, die als Tunesierinnen und Tunesier identifiziert wurden, wurden systematisch von Tür zu Tür aufgespürt und in die Grenzregionen abgeschoben.
Ein wesentlicher Finanzierungsmechanismus für diese Maßnahmen ist der EU-Treuhandfonds, aus dem in den letzten Jahren über 400 Millionen Euro in Tunesien, Marokko und Mauretanien flossen. Ein Berater eines durch diesen Fonds finanzierten Projekts erklärte, dass das Ziel sei, den Flüchtenden das Leben so schwer wie möglich zu machen: „Wenn Sie einen Migranten aus Guinea zweimal in der Sahara (in Marokko) zurücklassen, wird er Sie beim dritten Mal bitten, ihn freiwillig nach Hause zu bringen.“ Diese brutalen Maßnahmen führen häufig zu Todesfällen. Laut UN-Angaben starben mindestens 29 Menschen, nachdem sie an der libyschen Grenze abgesetzt oder aus Tunesien vertrieben wurden. Die Sahara ist mit offiziell 6.204 registrierten Todesfällen seit 2014 die tödlichste Landmigrationsroute aller Zeiten.
Interne Dokumente, die per Informationsfreiheitsgesetz erlangt wurden, belegen zudem, dass die EU direkt marokkanische paramilitärische Einheiten finanziert. Das Königreich Marokko erstellt rassistische Profile und zwangsumgesiedelt vorwiegend schwarze Migrantinnen und Migranten. Diese Verfolgung der Asylsuchenden erfolgt mit direkter Beteiligung Spaniens. So berichtete eine Guineerin beispielsweise, dass sie in der mauretanischen Hauptstadt Nouakschott von spanischen Polizeibeamten fotografiert wurde, bevor sie in einem weißen Bus an die Grenze zu Mali verschleppt wurde.
Quelle: junge Welt