Als eigentlich erwiesener Völkermordexperte braucht der deutsche Imperialismus nur 117 Jahre, um eine entsprechende Schuld gegenüber Namibia einzugestehen. Mit „Entwicklungsprojekten“ will sich die BRD freikaufen.
Berlin/Windhoek. Nachdem die Bundesregierung der BRD „bereits“ 2015 eine vorsichtigere Erklärung abgegeben hatte, rang sie sich am vergangenen Freitag dazu durch, den deutschen Völkermord an den namibischen Gruppen der Herero und Nama in aller Form anzuerkennen. In der kaiserlich-deutschen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ kam es in den Jahren 1904 bis 1908 zu einem Genozid an den beiden Volksgruppen. Zunächst befahl General Lothar von Trotha nach der Schlacht am Waterberg im August 1904, die geschlagenen aufständischen Herero, die sich gegen Landraub und Repression gewehrt hatten, zu vernichten: Sie wurden in die wasserlosen Wüstengebiete getrieben, wo sie zu zigtausenden starben. Die Überlebenden wurden in Konzentrationslager gesperrt, wo abermals die Hälfte der Betroffenen den Tod fand. In Summe ist davon auszugehen, dass ca. 60.000 der 80.000 Herero im Zuge des Völkermords nicht überlebten. Im Anschluss an den einen Genozid folgte gleich noch ein zweiter, nämlich jener an den Nama: Auch diese erhoben sich in verzweifelter Lage gegen die Kolonialherren und wurden ebenfalls stark dezimiert: Die Gruppe halbierte sich auf 10.000 Menschen. Heute leben im überaus dünn besiedelten Namibia – seit 1990 unabhängig von Südafrika – sowohl die Herero als auch die Nama als Minderheiten: Sie machen etwa sieben bzw. nur vier Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Dass sich Berlin nun nach 117 Jahren zu seinem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts bekennt, mag seine positive Seite haben: Die Verbrechen des europäischen Kolonialismus und Imperialismus in Afrika sind längst nicht aufgearbeitet, auch z.B. Großbritannien und Frankreich haben noch einiges an Schuld zu begleichen. Und damit sind wir bei der negativen Seite der deutschen Aktion, die zum Gutteil eher Aktionismus ist: Natürlich wendet sich die BRD-Erklärung an die Regierung Namibias, die von der einst marxistischen, heute sozialdemokratischen SWAPO gestellt wird – diese wird maßgeblich von der Mehrheitsvolksgruppe der Ovambo getragen, während Herero und Nama nicht repräsentiert sind. Eine direkte Entschuldigung gegenüber den beiden betroffenen Völkern vermied die BRD-Regierung ganz bewusst, und sie beeilte sich auch mit der zusätzlichen Festlegung, dass sich aus ihrer Erklärung keinerlei Entschädigungsansprüche ableiten lassen. Stattdessen will man sich mit Peanuts freikaufen: Ein bisschen mehr als eine Milliarde Euro sollen der namibischen Regierung für „Entwicklungsprojekte“ zur Verfügung gestellt werden, wovon die Familien der Opfer des deutschen Genozids somit sowieso nichts sehen werden. Man weiß nun aber immerhin, was der BRD-Regierung das moralische Eingeständnis in finanzieller Hinsicht wert ist: Die veranschlagte Investitionssumme bedeutet mathematisch rund 14.000 Euro pro ermordeten „Eingeborenen“. Damit kommt der deutsche Imperialismus nochmal recht billig davon – und kann in weiterer Folge ganz unbelastet Profite aus Namibia ziehen.
Quelle: Der Standard