Während die humanitäre Lage im Gazastreifen eskaliert, richten zwei EU-Abgeordnete der Kommunistischen Partei Griechenlands einen offenen Appell an die EU-Spitze. Sie werfen Brüssel vor, mitverantwortlich für das Leid der palästinensischen Bevölkerung zu sein – und fordern drastische Konsequenzen für Israel. Ein Brief, der Klartext spricht.
Brüssel. Angesichts der dramatischen Entwicklungen im Gazastreifen haben die beiden Europaabgeordneten Lefteris Nikolaou-Alavanos und Kostas Papadakis von der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) einen eindringlichen Brief an Ursula von der Leyen und António Costa gerichtet. Darin prangern sie das Vorgehen Israels als Völkermord an und kritisieren die Rolle der EU, die ihrer Ansicht nach durch politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Israel zur Eskalation beiträgt. Die Abgeordneten fordern ein sofortiges Ende der Gewalt, humanitäre Sofortmaßnahmen und die Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates.
Hier die vollständige Übersetzung des offenen Briefes:
„Schreiben der EU-Abgeordneten der KKE an die Präsidenten des EU-Rats und der EU-Kommission bezüglich des andauernden Massakers am palästinensischen Volk
Ursula von der Leyen
Präsidentin der Europäischen Kommission
António Costa
Präsident des Europäischen Rates
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrter Herr Präsident,
wir erleben derzeit eine neue Eskalation des Völkermords am palästinensischen Volk im Gazastreifen durch den israelischen Staat, der bislang über 61.000 Opfer gefordert hat, darunter mehr als 28.000 Frauen und Mädchen.
Die Gräueltaten Israels in Gaza haben zu einer beispiellosen humanitären Katastrophe geführt. Über zwei Millionen Palästinenser:innen sind von Hunger bedroht, während laut den Vereinten Nationen 160.000 Tonnen Lebensmittel aufgrund der israelischen Blockade an der Grenze feststecken. Die „Mindestmenge an Nahrungsmitteln“, deren Einfuhr Israel aus „diplomatischen Gründen“ in den Gazastreifen zulassen will, besteht nur aus wenigen Lkw pro Tag – obwohl Tausende erforderlich wären, um auch nur den grundlegendsten Bedarf zu decken.
Die Brutalität Israels hat in den letzten Tagen über 100.000 Menschen zur Flucht gezwungen. Die Grenzübergänge wurden unmenschlich abgeriegelt, und sämtliche öffentlichen Krankenhäuser im Norden Gazas sind außer Betrieb. Mindestens 20 medizinische Einrichtungen wurden in den vergangenen Tagen beschädigt oder mussten ihre Tätigkeit aufgrund der Gräueltaten der israelischen Armee ganz oder teilweise einstellen. Über 120.000 Menschen wurden verletzt, darunter auch Kleinkinder und ältere Menschen, die auf sich allein gestellt sind, während auch die letzten verbliebenen Gebäude dem Erdboden gleichgemacht werden.
Ziel dieser unmenschlichen und kriminellen Praktiken ist es, das umzusetzen, was Ministerpräsident Netanjahu – vom Internationalen Gerichtshof wegen Völkermords angeklagt – kürzlich verkündet hat: die vollständige Kontrolle Israels über den gesamten Gazastreifen. Eine ähnliche Eskalation und Brutalität ist auch im besetzten Westjordanland zu beobachten, wo Annexionen und Vertreibungen vorangetrieben werden – was die Schaffung eines unabhängigen und lebensfähigen palästinensischen Staates gemäß internationalem Recht untergräbt.
Trotz der halbherzigen „Besorgnisserklärungen zur humanitären Krise“ im Gazastreifen bleibt das „Assoziierungsabkommen EU–Israel“ in Kraft. Die EU unterstützt die israelische Armee und deren Rüstungsindustrie mit über 260 Millionen Euro jährlich, erklärt Israel, das Völkermord am palästinensischen Volk begeht, zum „Verbündeten und Partner“ und belohnt es mit verstärkter wirtschaftlicher, politischer und militärischer Zusammenarbeit mit der EU und ihren Mitgliedstaaten.
Die EU trägt eine schwere Verantwortung für das Fortbestehen der vom Besatzungsstaat Israel verübten Verbrechen – eine Verantwortung, die derjenigen der USA und ihrer NATO-Verbündeten gleichkommt.
Wir fordern Sie auf, sofort Maßnahmen zu ergreifen, damit:
- alle Grenzübergänge für die Einfuhr dringender humanitärer und materieller Hilfe geöffnet werden,
die EU-Mittel für das palästinensische Volk angesichts der dramatischen Lage drastisch erhöht werden,
die Arbeit des UNRWA gestärkt und unterstützt wird, und
alle notwendigen materiellen und technologischen Mittel für die Wiedereröffnung der Krankenhäuser in Gaza bereitgestellt werden; - das andauernde Massaker am palästinensischen Volk durch den Besatzungsstaat Israel sofort gestoppt wird;
- das EU-Israel-Assoziierungsabkommen aufgekündigt und jede politische, wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit mit dem Besatzungsstaat Israel unverzüglich beendet wird;
- alle EU-Mitgliedstaaten einen unabhängigen palästinensischen Staat in den Grenzen vor 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt anerkennen.
Mit freundlichen Grüßen,
Lefteris Nikolaou-Alavanos
Kostas Papadakis
Abgeordnete der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) im Europäischen Parlament“
Quelle: Solidnet