Kommentar von Otto Bruckner, stellvertretender Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs.
Warum kündigte MAN die Standortgarantie bis 2030 und lässt nur ein Kaufangebot für das Werk Steyr zu? Auf diese Frage gibt es noch keine schlüssige Antwort, so lange nicht alle Karten auf dem Tisch sind. Unter Umständen wird nämlich auch mit gezinkten Karten gespielt.
Siegfried Wolf ist ein umtriebiger Mann in der internationalen Automobilszene. Er war Spitzenmanager in Frank Stronachs Magna-Konzern, der Autoteile fertigt und mit vielen der weltgrößten Automobilkonzerne aufs Engste verbunden ist. Wolf ist Minderheitsaktionär der russischen GAZ-Gruppe, die mehrheitlich dem Oligarchen Oleg Deripaska gehört. Er sitzt bei GAZ ebenso im Aufsichtsrat wie bei der Porsche SE, die Mehrheitseigentümer von Volkswagen ist, und dem Volkswagen-Konzern wiederum gehört Traton, die Muttergesellschaft von MAN.
Der MAN-Eigentümerkonzern Volkswagen wiederum hat eine florierende Geschäftsverbindung mit der GAZ-Gruppe, diese hat einen Vertrag über die Auftragsfertigung von VW- und Skoda-Modellen für den russischen Markt. Volkswagen liefert 2.0‑Liter-TDI-Motoren für die russischen Leichttransporter „GAZelle“.
Gleichzeitig hat Oligarch Deripaska, der auch an der Baufirma Strabag beteiligt ist, in der Wolf ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt, ein Problem mit den US-Sanktionen gegen Russland. Er war ins Visier von US-Sanktionen geraten und hat nun Zeit bis Jänner 2022, seine Anteile an GAZ zu verkaufen, ansonsten droht dem Automobilhersteller womöglich der Verlust seiner Handlungsfähigkeit.
Ein Deal im Hintergrund, der allen Beteiligten hilft, könnte also folgendermaßen aussehen: MAN verkauft den Standort Steyr an Wolf, dieser übernimmt die Drecksarbeit, reduziert die Belegschaft um ein Drittel und drückt die Löhne nach unten, die Rede war von 15 Prozent weniger Lohn.
Das Branchenmagazin „Traktuell“ fasst die mögliche win-win-Situation für alle Beteiligten folgendermaßen zusammen:
„Kommt der Deal von MAN zustande, dann profitieren davon alle Beteiligten: Volkswagen beziehungsweise Traton kann seine Internationalisierungspläne im Nutzfahrzeuggeschäft ausweiten und erhält dauerhaft Zugang zum russischen Markt. Oleg Deripaska hätte eine Möglichkeit, seine Anteile an GAZ loszuschlagen und der russische Nutzfahrzeughersteller wäre damit vom Damoklesschwert der Sanktionen befreit. Gleichzeitig bekäme GAZ mit dem Produktionsstandort Steyr einen direkteren Zugang zum europäischen Markt. Dass dieser für die Marke von Interesse ist, hat GAZ mit seinem Auftritt bei der IAA Nutzfahrzeuge 2018 in Hannover bestätigt. Dank der Euro-6-Motoren von VW wären die Fahrzeuge auch in Europa zulassungsfähig. Siegfried Wolf könnte mit dem Deal ebenfalls seine Anteile an GAZ, die bei Geschäftsunfähigkeit durch US-Sanktionen gegen Deripaska von Wertverlust bedroht sind, retten. Kurzum, es gibt nur Gewinner. Abgesehen von den über eintausend Mitarbeitern in Steyr, die dadurch ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Und den übrigen, die vom designierten Eigentümer Wolf– trotz Standort- und Beschäftigungsgarantie für Steyr bis 2030 – nun zum Gehaltsverzicht genötigt werden sollen. Und sollte das Ganze schiefgehen, könnte das Werk immer noch einfach in Konkurs gehen und MAN wäre durch den Eigentümerwechsel an keine Garantien zum Erhalt des Standorts und der Arbeitsplätze mehr gebunden.“
Das sind Spekulationen, sicher. Aber keine aus der Luft gegriffenen. Und da stellt sich nun die Frage, was die österreichische Bundesregierung im Fall Steyr zu ihrer Untätigkeit bewegt?
„Wolf war einer jener Industriellen, die Kurz 2017 den Weg zur Kanzlerschaft ebneten. Bei den Millstätter-Gesprächen, einer Netzwerktagung zwischen ÖVP und Unternehmen, war er einer der ersten in Österreich, die sich offen für Neuwahlen aussprachen“ führt der Wissenschaftler Lukas Oberndorfer auf Facebook aus, und weiter: „Nicht bewiesen ist, ob in der Folge auch Spenden über ÖVP-nahe Vereine an das Projekt Kurz flossen. Heinz Christian Strache führte dies im Ibiza-Video aus. Benko und Wolf hätten das Projekt Kurz über Umgehungskonstruktionen mit Millionen an ‚Spenden‘ versorgt.“
Es gibt also eine direkte Verbindung von Wolf zur „neuen ÖVP“. Kurz wollte Wolf sogar zum ÖBAG-Aufsichtsratschef machen, ließ die Idee aus Sorge um die Optik in der Öffentlichkeit dann aber wieder fallen, wie aus den berüchtigten Chats des Thomas Schmidt hervorgeht.
Ob es die spezielle Verbandelung von Bundeskanzler Kurz mit einem der Hauptakteure in diesem undurchsichtigen Vorgang um den Standort Steyr ist, oder sein generelles Desinteresse an Anliegen von Arbeiterinnen und Arbeitern, ist nicht klar. Für die zweite Annahme spricht, dass Kurz auch bei früheren Werksschließungen keinen Finger rührte. Die Betriebsräte der ATB-Spielberg beispielsweise war er nicht einmal bereit, zu empfangen.
Die Kolleginnen und Kollegen in Steyr haben jedenfalls den richtigen Schritt gesetzt und diese undurchsichtigen Verkaufspläne von MAN mit fast zwei Drittel der Stimmen in einer Urabstimmung fürs erste einmal gestoppt. Sie haben damit ein wichtiges Signal gesetzt, dass sie keine anonyme Manövriermasse sind, sondern eine selbstbewusste Belegschaft, die sich nicht alles gefallen lässt. Es ist ihnen zu wünschen, dass sie bei diesem Kurs bleiben, und sich nicht vom Gelaber der „Sozialpartner“ einlullen lassen. Die Übernahme in Staatseigentum oder durch die Belegschaft selbst würde all den Spekulationen ein Ende bereiten und einen vollständigen Neustart ermöglichen.
Quellen: traktuell.at/Lukas Oberndorfer auf FB