Der Gesundheitsminister bleibt dabei: Die Zulassung von Medikamenten soll von einer Interessensvertreterin der Pharmaindustrie geleitet werden.
Wien. Pharmalobbyistin Helga Tieben wird zur neuen Chefin der Medizinmarktaufsicht (wir berichteten). Der zuständige Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (von der selbsterklärten Anti-Korruptionspartei „Die Grünen“) wolle sich da „nicht einmischen“. Das erklärte er am Wochenende im Ö1-Mittagsjournal. Im Ausschreibungsprozess sei Tieben „eine der bestgereihten Bewerber“ gewesen; zuständig sei die AGES-Geschäftsführung.
Mit dieser Haltung disqualifiziert sich Mückstein einmal mehr für eine verantwortliche Position. Selbst der türkise Innenminister Karner konnte jüngst nach heftiger Kritik eine Kommissionsentscheidung zur Besetzung des Kärntner Verfassungsschutzchefs durch einen langjährigen Besucher des rechtsextremen Ulrichsberg-Treffens rückgängig machen. Doch bei der AGES geht es eben um mehr; um die Leitung einer Abteilung mit 300 Mitarbeitern, die für den 7 Milliarden € schweren Markt für Pharmazeutika und medizinische Verbrauchsgüter zuständig ist – und das sind Zahlen von vor der Corona-Pandemie.
Tieben ist seit 27 Jahren (!) Mitarbeiterin zum Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) und soll eine tatsächlich fachlich fundierte Biochemikerin als Chefin der zur AGES gehörenden Medizinmarktaufsicht ablösen. Somit ist eine Lobbyistin künftig für die Zulassung von Medikamenten verantwortlich – wie auch auf EU-Ebene wird hier der Bock zum Gärtner gemacht.
Wer beaufsichtigt die Aufsicht?
Die Kausa Tieben ist nicht der einzige Beleg dafür, wie wenig Mückstein an öffentlicher Einsicht in die Gemengelage aus Pharmalobbyismus und Gesundheitspolitik gelegen ist. Im Gegensatz etwa zur „Stiko“ in der BRD werden die finanziellen Verbindungen der Mitglieder des Nationalen Impfgremiums zu Pharmakonzernen (etwa über Beschäftigungsverhältnisse oder Forschungsfinanzierung) nicht öffentlich gemacht. Ebenso darf nicht bekanntgegeben werden, wer eigentlich in der Hearing-Kommission saß, die eine Pharmalobbyistin mit Publizistikstudium (in der Ausschreibung waren Humanmedizin oder Naturwissenschaften gefordert) als besonders geeignet einstufte. „NEWS“-Recherchen zufolge dürfte zumindest eine Vertreterin von Mücksteins Ministerium beteiligt gewesen sein, was klar gegen seine „Ich bin nicht zuständig“-Linie spricht. Ein Geheimnis bleibt auch, was die Qualifikationen der anderen Bewerberinnen und Bewerber waren.
Denn die AGES wurde 2002 absichtlich als mehr oder weniger ausgelagerte „Firma“ konzipiert; so spart man sich im hochsensiblen und (und für Konzerne lukrativen) Bereich Ernährung und Medizin transparente Besetzungsverfahren, wie sie in Ministerien zumindest am Papier vorgeschrieben sind. Auch von unangenehmen Anfragen aus dem Parlament bleibt die AGES verschont.