NR-Präsident Sobotka (ÖVP) möchte, dass bei Befragungen in parlamentarischen U‑Ausschüssen ungeniert und legal gelogen werden darf. Seltsam? Voll normal für die ÖVP!
Wien. Die ÖVP hat sich mit ihrem Politik- und Rechtsverständnis offenbar endgültig in die Achse Berlusconi-Trump-Orbán eingereiht. Neueste Errungenschaft: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, nebenbei auch Vorsitzender des „Ibiza“-Untersuchungsausschusses, will in parlamentarischen U‑Ausschüssen die Wahrheitspflicht abschaffen. Anders gesagt: Auskunftspersonen sollen das Recht erhalten, bei ihren Antworten wissentlich zu lügen. Nun ist es freilich nur ein Aspekt, dass dies die Erkenntnisfindung nicht gerade erleichtern würde, doch viel gravierender ist, dass Sobotka bewusste Falschinformationen legalisiert haben möchte, was mutmaßlichen Tätern doch ein wenig zu weit entgegenkommt. Der NR-Präsident begründet seinen bizarren Vorschlag damit, dass viele Vorgeladene übermäßig unter Stress stehen würden, wenn sie im U‑Ausschuss die Wahrheit sagen müssen. Ja, mag schon sein – doch irgendwie ist das auch Sinn und Zweck einer solchen Vernehmung, oder?
Böse Zungen könnten freilich behaupten, Sobotoka und der ÖVP ginge es vor allem darum, dass potenziell belastete Glücksspielritter wie Sobotka selbst oder aber eben Kanzler Kurz und Finanzminister Blümel sich bei ihren Antworten in Widersprüche verstricken könnten, wenn sie ihre konstruierten Lügengebäude vielleicht nicht mehr gänzlich im vernebelten Blick haben. Oder es ist ihnen etwas anderes aufgefallen: Wer sich – wie Blümel – andauernd bei der Beantwortung von Fragen entschlägt, um sich in einem laufenden Verfahren nicht selbst zu belasten, erweckt freilich ein wenig den Anschein, dass es Belastendes geben muss. Auch die massiven Erinnerungslücken und angeblich nicht vorhandene technische Geräte lassen eine Auskunftsperson nicht unbedingt vertrauenswürdiger erscheinen.
Da wäre es freilich einfacher, wenn die ÖVP-Politiker im U‑Ausschuss einfach ganz legal lügen dürfen, wie sich Sobotka das anscheinend vorstellt: wohlgemerkt, vor Gericht wäre so etwas ein Meineid. Aber ist ja nichts Besonderes, wenn man im Parlament nicht die Wahrheit sagt, nicht? Dass freilich auch schon Anzeigen gegen einige ÖVP-Mitglieder wegen mutmaßlicher Falschaussagen im U‑Ausschuss eingebracht wurden, hat indessen gewiss nichts mit Sobotkas Vorstoß zu tun. Oder die Tatsache, dass Kanzler Kurz auch auf Verlangen des Verfassungsgerichtshofes nicht bereit ist, alle seine Korrespondenzen offenzulegen. Rechtsstaat? Lächerlich! Wahrheitspflicht? Noch lächerlicher! – Wie war das nochmals mit Sobotka? Sorry, Erinnerungslücke: Man hat ihm doch vor einiger Zeit vor die Haustüre geschissen – oder war es doch woanders hin?
Quelle: Der Standard