Gastbeitrag von Mag. Dr. Dieter Reinisch, freier Journalist und Historiker*
Vor dem Neuen Institutsgebäude (NIG) protestierten am Mittwoch mehrere hundert Menschen gegen die einseitige Parteinahme der Universität Wien im Gaza-Krieg. Ein Häufchen von Israel-Unterstützern wollte stören, wurde aber von der Polizei weggeschickt.
Wien. Seit dem 7. Oktober versucht die Universität Wien palästinensische Stimmen systematisch aus ihren Räumlichkeiten zu verbannen und nimmt unverblümt Position auf Seiten des Staats Israel ein. So wurde eine geplante Vorlesungsreihe am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie über die Ursprünge und Geschichte des Nahostkonflikts mit renommierten, internationalen Vortragenden von der Universitätsleitung verboten: In der aktuellen Situation sei eine solche Veranstaltungsreihe nicht angebracht, wurde behauptet. Sie fand stattdessen an der privaten Central European University in Wien statt. Ebenso wird arabischen und pro-palästinensischen Studierenden das Verwenden von Räumlichkeiten der Universität untersagt.
Kleine Schar antideutscher, zionistischer Gegendemonstranten
Um gegen diese einseitige Parteinahme zu protestieren, organisierten Studierende unterschiedlicher Universitäten eine Kundgebung vor dem NIG in der Universitätsstraße. Bevor sich am Donnerstag jedoch die Teilnehmer des Protests versammelten, fand sich früh eine kleine Schar antideutscher, zionistischer Gegendemonstranten ein.
Die antideutsche Ideologie entstand als Reaktion auf die deutsche Wiedervereinigung im Jahr 1989. Einige linke Teile betrachteten dieses Ereignis als eine Rückkehr zum Faschismus und den Beginn eines „Vierten Reiches“, eine Anspielung auf Hitlers „Drittes Reich“. Auf Kundgebungen forderten sie: „Nie wieder Deutschland“.
Ihre Ideologie ist so einfach wie gefährlich: Deutschland, so ihre Argumentation, sei von Natur aus faschistisch. Der Faschismus soll jedoch im Laufe der Geschichte in unterschiedlichen Formen aufgekommen sein – nicht nur innerhalb der deutschen Länder. Heute würden Araber, nach Meinung der Antideutschen, die einzige Zivilisation im Nahen Osten bedrohen: Israel. Da die Deutschen für den Holocaust verantwortlich waren, sollte es daher die Pflicht aller Deutschen sein, Israel und seinen Unterstützer USA kritiklos zu unterstützen. Diese verzerrte Sichtweise führte dazu, dass Teile der deutschen und österreichischen Linken zu Unterstützern des Imperialismus wurden und beispielsweise die US-Invasionen in Afghanistan und im Irak begrüßten.
Direkt neben der Palästina-Kundgebung standen rund ein dutzend, vielleicht 20 in zumeist schwarz gekleidete Antideutsche. Großteils versteckt unter Kapuzen, Baseballkappen und COVID-Masken hielten sie ein Transparent in den hellblau-weißen Farben Israels mit der Aufschrift „Gegen Antisemitismus und Rassismus“ hoch. Kleine A5-Flugzettel verteilte sie an Passanten, auf denen sie „Solidarität mit Israel“ forderten.
Unbeirrt von den Antideutschen, unter denen sich Mitglieder des Bundes-KPÖ-nahen Studentenverbandes KSV-Lili befanden, begann die pro-palästinensische Protestkundgebung. Der erste Redner war ein palästinensisches Kind, das vom Leid seiner Familie und Verwandten erzählte. Es wurde von den Antideutschen lautstark ausgepfiffen. Weitere Störaktionen blieben aber aus, da die Antideutschen wohl die Größe der Palästina-Kundgebung unterschätzt hatten: Den 20 Zionisten standen hunderte pro-palästinensische Aktivisten gegenüber.
Polizei schickte Störenfriede weg
Überrascht zeigte sich auch die Polizei: Nur langsam tröpfelten weitere Einsatzwägen ein. Nach 30 Minuten waren anscheinend ausreichend Einsatzkräfte vor Ort. Eine Lautsprecherdurchsage informierte, dass „Bild- und Tonmaterial“ von der Kundgebung gesammelt werde, das gegebenenfalls für strafrechtliche Verfolgung verwendet werden kann.
Die Durchsage galt nicht der Palästina-Kundgebung, sondern den Antideutschen. „Zwei Minuten“ wurde ihnen gegeben, um die „unangemeldete Versammlung aufzulösen“. Danach drängte die Polizei sie schrittweise ohne erkennbare Gegenwehr ab. Um die Ecke des NIG in der Ebendorferstraße wurden die Personalien der Antideutschen aufgenommen.
500 Teilnehmer an Solidaritätskundgebung
Die studentische Palästina-Kundgebung setzte sich derweilen ungestört fort: laut, lebendig und kämpferisch. Insgesamt nahmen zwischen 12 Uhr und 14.30 Uhr rund 500 Personen teil, darunter Aktivisten des Wien-weiten Kollektivs „Student for the Palestinian Cause“, BDS Austria und Dar al-Janub.
In den Reden wurde die einseitige Parteinahme der Universitätsleitung kritisiert und auf die bewusste Zerstörung von Universitäten in Gaza und dem Westjordanland durch die israelische Armee hingewiesen. Auch die pro-israelische Haltung der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) wurde kritisiert und daher zum Boykott der Zahlung des ÖH-Beitrags aufgerufen.
Im NIG ist das Institut für Politikwissenschaft angesiedelt, dessen Studierendenvertretung historisch als ein Zentrum der Antideutschen in Wien gilt. Dennoch schafften sie nicht, mehr als 20 Personen zu ihrem pro-israelischen Gegenprotest zu bewegen.
* Mag. Dr. Dieter Reinisch schreibt regelmäßig für die linke Tageszeitung „junge Welt“ in Berlin und anderen Medien. Er verfasste zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten und Bücher zum Nordirland-Konflikt und weiteren Themen.