Wien. Die Sozialwirtschaft bleibt auch heuer ein Brennpunkt von Klassenkampf und potentiell der sozialpartnerschaftlichen Befriedungspolitik. Wieder einmal sind die Kollektivvertragsverhandlungen gescheitert, wieder einmal mobilisieren tausende Beschäftigte für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen – und wieder einmal steht zu befürchten, dass die Gewerkschaftsführung den Druck rechtzeitig abdreht, bevor ein Abschluss erreicht ist, der diesen Namen verdient.
Routine des Konflikts – Routine des Nachgebens
Mehr als 120 Standorte haben bereits Streikbeschlüsse gefasst, quer durch alle Bundesländer. Die Streikwelle, die nun über drei Tage hinweg stattfinden soll, ist kein Ausnahmezustand, sondern Ausdruck einer mittlerweile gut erkennbaren Dynamik: Die Sozialwirtschaft ist einer der wenigen Bereiche, in denen Arbeitskämpfe in den letzten Jahren zur Regel geworden sind. Ob Protesttage, Betriebsversammlungen oder Warnstreiks – während weite Teile der österreichischen Arbeitswelt nur selten kollektive Kampfmaßnahmen erleben, haben die Beschäftigten im privaten Gesundheits‑, Sozial- und Pflegebereich gezeigt, dass sie bereit sind, für ihre Rechte zu kämpfen und dass es Handlungsbedarf in diesem Bereich gibt.
Doch ebenso regelmäßig ist zu beobachten, dass die sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsspitzen diesen Kampfgeist einhegen. Statt die wachsende Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen in eine echte Durchsetzungsstrategie zu übersetzen, endeten frühere Runden stets mit faulen Kompromissen. Was als Erfolg verkauft wurde, bedeutete in der Realität Reallohnverluste, verschärfte Arbeitsverdichtung und keine spürbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Arbeitgeber: „Wir würden ja gerne – aber der Staat lässt uns nicht“
Heuer wiederholt sich dasselbe Spiel. Das aktuelle Angebot der Arbeitgeber – durchschnittlich 1,7 % für 2026 und 1,65 % für 2027 – liegt deutlich unter der Inflation und ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten. Selbst die gestaffelten Erhöhungen für niedrigere Gehaltsgruppen ändern daran nichts. Die Gewerkschaft fordert vier Prozent, was nicht einmal einem wirklichen Reallohnzuwachs entsprechen würde.
Die Arbeitgeber wiederum verstecken sich hinter der angeblich unzureichenden Finanzierung durch Bund und Länder. Doch dieser Hinweis ist nichts anderes als ein politisches Ablenkungsmanöver: Die Sozialwirtschaft ist seit Jahren ein System, in dem öffentliche Gelder, private Träger und politisch gewollte Sparprogramme ineinandergreifen – immer zu Lasten der Beschäftigten und der Klient*innen. Dass der SWÖ-Vorsitzende Fenninger die Verhandlungen „schwierig“ nennt, weil Bund und Länder zu wenig zahlen, zeigt nur, wie eng verflochten Unternehmen und Staat in diesem Sektor agieren – und wie wenig Interesse beide Seiten an einer nachhaltigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen haben.
Die Beschäftigten zeigen Stärke – aber wird sie genutzt?
Mehrere tausend Kolleginnen und Kollegen demonstrierten jüngst in Wien und machten mit deutlichen Worten klar, dass sie genug haben von jahrelanger Unterbezahlung, chronischer Überlastung und politischer Ignoranz. Streikbereitschaft herrscht vielerorts, und in vielen Betrieben liegen bereits konkrete Beschlüsse vor.
Doch ob diese Entschlossenheit tatsächlich in wirksame Kampfmaßnahmen mündet, hängt nicht allein von den Beschäftigten ab. Es hängt vor allem davon ab, ob die Gewerkschaftsführung diesmal bereit ist, die Auseinandersetzung bis zum Ende zu führen – oder wieder rechtzeitig abbremst, um die Tradition der „sozialpartnerschaftlichen Lösung“ zu wahren. Die Erfahrung der vergangenen Jahre spricht eine klare Sprache: Gefährdet der Arbeitskampf die politische Balance zwischen SPÖ, ÖGB und dem sozialwirtschaftlichen Arbeitgebermilieu, wird zurückgerudert.
Ein Sektor im Dauerstreit – und ein Dauermuster der Befriedung
Die Sozialwirtschaft ist kein gewöhnlicher Wirtschaftsbereich. Sie ist ein gesellschaftlich hoch relevanter, aber systematisch unterfinanzierter Sektor, in dem prekäre Bedingungen, Teilzeitfalle und emotionale Belastungen strukturell eingebaut sind. Gleichzeitig ist es ein Bereich, dessen Beschäftigte längst bewiesen haben, dass sie kampfbereit sind – und dass Streiks hier nicht die Ausnahme, sondern ein notwendiger Bestandteil der politischen Auseinandersetzung geworden sind.
Doch solange die Gewerkschaftsführung unwillig ist, über symbolische Aktionen hinauszugehen, wird dieser Kampf nicht gewonnen werden. Solange Proteste als Druckmittel eingesetzt werden, um Kompromisse zu „verbessern“, anstatt tatsächliche Durchsetzungsmacht zu entwickeln, werden die Beschäftigten weiter vertröstet. Die Rituale werden sich wiederholen: Demonstration – Streikdrohung – begrenzte Ausstände – Verhandlungsrunde – fauler Kompromiss – Ernüchterung. Die Kolleginnen und Kollegen in der Sozialwirtschaft haben jedoch gezeigt, dass sie mehr wollen – und mehr verdienen. Ein wirklicher Durchbruch wird nur gelingen, wenn ihre Kampfbereitschaft nicht wieder von oben ausgebremst wird.
Quelle: Mein Bezirk/ORF/Zeitung der Arbeit
















































































