Die international besetzte Expertenkommission zur Aufarbeitung der „Causa Ischgl“ unterstreicht in ihrem Bericht das umfassende Versagen und Fehlverhalten der lokalen Behörden sowie der Bundesregierung.
Innsbruck. Am 14. Mai dieses Jahres hatte der Tiroler Landtag die Einsetzung einer Expertenkommission beschlossen, die die Ereignisse um den Corona-Hotspot Ischgl aufarbeiten sollte. Nun legte das sechsköpfige Gremium unter Leitung des ehemaligen OGH-Vizepräsidenten Ronald Rohrer seinen Bericht vor. Es sei zwar nicht Aufgabe der Kommission gewesen, politische Verantwortlichkeiten festzustellen, meint Rohrer, doch indirekt ist das erstellte Gutachten eine deutliche Anklage gegen die verantwortliche Politik. Es habe „folgenschwere Fehleinschätzungen“ der lokalen Behörden in der Gemeinde und im Bezirk Landeck gegeben, „unwahre“ Informationen der schwarz-grünen Landesregierung sowie „Kommunikationsfehler“, Zuständigkeitsüberschreitungen und Planlosigkeit der ebenfalls schwarz/türkis-grünen Bundesregierung. Insbesondere der Tiroler Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) sowie der Ischgler Bürgermeister Werner Kurz (ÖVP-nahe Bürgerliste) stehen in der Kritik, letzterer sieht sich gar mit dem Vorwurf strafbarer Handlungen im Zuge der gezielten Verzögerung amtlicher Anordnungen konfrontiert. Der Ausgangspunkt für das Corona-Chaos im Paznauntal dürfte aber in Wien liegen – um genau zu sein bei Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Bundeskanzler verantwortlich für Corona-Chaos
Kurz habe durch seine Quarantäne-Ankündigung via Live-Pressekonferenz im TV am 13. März „ohne unmittelbare Zuständigkeit“ gehandelt sowie mangels akkordiertem Evakuierungsplan eine geregelte Abreise der Touristen regelrecht „behindert“, was wiederum zu Panikreaktionen und Fehlverhalten vor Ort führte. Das Ergebnis ist bekannt: Etwa 10.000 CoViD-19-Erkrankungen in Europa sind auf die Ereignisse von Ischgl zurückzuführen, darunter auch einige Todesfälle. Viele Menschen von Island bis Bulgarien kennen jemanden, der aufgrund des Versagens der österreichischen Behörden, infiziert wurde, manche auch jemanden, der deswegen gestorben ist. Es rächt sich dabei offensichtlich die schamlose Politikinszenierung der türkisen Gauklertruppe um Kurz: Ihr ging es im Zuge der Corona-Pandemie v.a. darum, sich im Fernsehen, im Internet und im Print-Boulevard als verantwortungsvolle Retter der Nation darzustellen, doch blieb dabei natürlich jedes vernünftige realpolitische Handeln im Sinne einer konsequenten, organisierten und rechtzeitigen Eindämmung auf der Strecke – geopfert am Altar der Selbstbeweihräucherung und der Rücksichtslosigkeit des Populismus. Dabei gelingt Kurz sogar ein widersprüchliches Kunststück, nämlich gleichzeitig inkompetent zu sein und trotzdem seine Kompetenzen zu überschreiten. Das deckt sich allerdings in gewisser Hinsicht mit der politischen Schuld, die im Bundeskanzleramt offenbar angehäuft wurde, denn dieses ist in seiner Verantwortungslosigkeit schlussendlich – verantwortlich.
Quelle: Der Standard