Das „Brotmassaker“ geht weiter. Bei einem neuen tödlichen Zwischenfall nahe eines Hilfszentrums in Rafah starben erneut Dutzende Palästinenser durch israelisches Feuer. Während die Zahl der zivilen Opfer steigt, spricht die UNO von Kriegsverbrechen und prangert die katastrophale humanitäre Lage an. Auch international wächst die Kritik – doch Israels Offensive schreitet ungebremst voran.
Gaza. Seit Dienstag sind in verschiedenen Gegenden des Gazastreifens 58 Palästinenserinnen und Palästinenser ums Leben gekommen, darunter mindestens 27, die in der Nähe eines Hilfsverteilzentrums in Rafah im Süden des Streifens durch israelisches Feuer getötet wurden. Das berichten Krankenhausquellen, auf die sich Al-Jazeera ebenso beruft wie auf die Angaben von Mahmud Bassal, dem Sprecher der von der Hamas betriebenen Zivilschutzagentur.
Die Meldung wurde vom Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Hisham Mhanna, bestätigt. Er berichtet, dass das Feldlazarett in Rafah 184 Verletzte aufgenommen habe, von denen 19 bei der Ankunft für tot erklärt wurden, während weitere acht später an ihren Verletzungen starben. Die 27 Toten wurden später ins Nasser-Krankenhaus in der Stadt Khan Younis gebracht. Laut Mohammed Saqr, dem Leiter des Pflegepersonals im Nasser-Krankenhaus, befinden sich unter den Toten drei Kinder und zwei Frauen.
Der Krankenhausdirektor Atef al-Hout teilte mit, dass die meisten Patientinnen und Patienten Schussverletzungen aufwiesen. Die israelische Armee (IDF) räumte ein, das Feuer eröffnet zu haben, und erklärte, man habe „in der Nähe einiger Verdächtiger“ geschossen, die die vorgegebene Route verlassen, sich den israelischen Truppen genähert und Warnschüsse ignoriert hätten. Es handelt sich um den dritten Vorfall dieser Art innerhalb von drei Tagen. Die nahezu täglichen Schusswechsel begannen, nachdem eine von Israel und den USA unterstützte Stiftung, die Gaza Humanitarian Foundation (GHF), Hilfspunkte innerhalb israelischer Militärzonen eingerichtet hatte – ein System, das laut der Stiftung selbst dazu diene, die Hamas zu umgehen, aber von der UNO abgelehnt wird.
Sie behandeln uns wie Hunde
Ein verzweifelter Bericht einer Frau, die am ersten Tag der Verteilung durch die GHF versuchte, Hilfsgüter zu erhalten, wurde vom palästinensischen Journalisten Samer Alboji aufgezeichnet:
„Sie sagten mir, ich solle jedes Mal zu einem anderen Ort gehen. Man lässt uns warten, macht sich über uns lustig. Sie behandeln uns wie Hunde. Was können wir denn dafür? Wir sind weder Hamas noch Fatah, wir sind einfach Menschen. Ich habe acht Kinder, eines ist einen Monat alt. Ich habe keine Milch, weil ich nichts esse und deshalb nicht stillen kann. Ich bin hierhergekommen, um Milchpulver zu suchen – seit heute Morgen ist das schon die dritte Runde. So verteilt bekommen nur die Starken das Essen. Aber wo sind die anderen arabischen Länder? Der König von Marokko, der König von Jordanien, Präsident al-Sisi? Warum schaut niemand hin?“
Die US-amerikanische Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) hat ihre Zusammenarbeit mit der Gaza Humanitarian Foundation beendet, die Hilfen im Gazastreifen verteilt. Das berichtet die Washington Post, aufgegriffen von Haaretz. Die amerikanische Firma war im vergangenen Herbst in die Gründung der Organisation eingebunden und hatte in enger Abstimmung mit Israel an der Planung der Einsätze im Gazastreifen mitgewirkt. Laut drei mit den Vorgängen vertrauten Quellen wird die GHF ohne die Unterstützung der BCG Schwierigkeiten haben, weiter zu operieren.
Eindeutige Kriegsverbrechen
Die tödlichen Angriffe auf Menschen, die auf humanitäre Hilfe im Gazastreifen warten, sind „Kriegsverbrechen“. Das erklärte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk:
„Tödliche Angriffe auf verzweifelte Zivilisten, die versuchen, Zugang zu den wenigen verfügbaren Nahrungsmitteln zu bekommen, sind inakzeptabel“, so Türk.
„Direkte Angriffe auf Zivilisten sind ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht und ein Kriegsverbrechen“, fügte er hinzu.
Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte sich entsetzt:
„Ich bin erschüttert über die Berichte, dass Palästinenser getötet und verletzt wurden, während sie auf Hilfe warteten. Es ist inakzeptabel, dass Palästinenser ihr Leben riskieren müssen, um etwas zu essen zu bekommen.“
Er forderte, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Doch Israel hält an seinem Vernichtungskrieg fest. Die erneute Intensivierung der Offensive „Gideons Streitwagen“ scheint durch eine Aussage des Verteidigungsministers Israel Katz ausgelöst worden zu sein:
„Den Vormarsch in Gaza auf alle Ziele fortsetzen – unabhängig von jeglichen Verhandlungen.“
Die Lüge der Terrorismusbekämpfung
Am Montagmorgen berichteten palästinensische Medien vom Vorrücken der IDF vom Zentrum in Richtung Süden des Gazastreifens, auf Khan Younis. Später kam die Bestätigung durch die Armee selbst:
„Gestern haben die Truppen ihre Bodenoperationen ausgeweitet, Terroristen eliminiert sowie zahlreiche Waffenlager und Terrorinfrastrukturen – auch unterirdisch – zerstört“, während die Luftwaffe „Dutzende Ziele im gesamten Gazastreifen“ getroffen habe, darunter Terrorzellen, von Terrorgruppen genutzte Gebäude, Tunnel und Waffendepots.
Die Zahl der Toten steigt unterdessen stündlich. Das Gesundheitsministerium in Gaza spricht von 54.470 Toten in 605 Tagen Krieg, davon 4.201 seit der Wiederaufnahme der Kämpfe.
„Das Assoziierungsabkommen wird derzeit überprüft. Es gibt Außenminister, die das gefordert haben. In diesem Rahmen werden die Beziehungen bewertet und die Diskussionen geführt“, sagte Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments, auf einer Pressekonferenz mit der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen in Kopenhagen.
„Die Lage in Gaza ist katastrophal. Kinder, Frauen und Männer sterben täglich. Und wir – als wichtigster Geber humanitärer Hilfe – sollten uns fragen, wo diese Hilfe landet und wie sie diejenigen erreicht, die sie am dringendsten brauchen.“
Quelle: l’Unità