Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)
Der frühere Comedian und Schauspieler Wolodymyr Selenskyj chargiert momentan in seiner wichtigsten und schwierigsten Rolle, die er als Heldenpart anlegt. Als amtierender Präsident der Ukraine ist er mit der Präsenz ausländischer Truppen auf seinem Territorium konfrontiert, die umfassende kriegerische Handlungen vollführen. Ungeachtet dessen, wie man diese Situation betitelt, ungeachtet dessen, wie und warum sie entstanden ist, ergibt sich daraus eine objektive politische Aufgabenstellung mit militärischen Implikationen: Selenskyj muss das Staatsgebiet der Ukraine gegen die russischen Truppen verteidigen, denn das ist nun mal sein verfassungsmäßiger Job.
Und dessen ist er auch willens. Selenskyj ist offenkundig bereit, bis zum letzten behelfsmäßig bewaffneten Kiewer Bürger, bis zum letzten Lemberger Studenten, bis zum letzten transkarpatischen Bauernsohn zu kämpfen – dieses Opfer seiner Untertanen nimmt er in Kauf. Mit gelben Armbinden versehene Zivilisten ins Feld bzw. in den Häuserkampf gegen die überlegene russische Armee zu schicken, ist wahrlich ein Heldenstück an Verteidigungswillen. Allerdings ist es auch sinnlos. Die Zahl an Toten und Verletzten, aber auch Flüchtlingen wird auf beiden Seiten immens sein – und am Ende wird trotzdem die ukrainische Niederlage stehen. Das ist auch Selenskyj bzw. den Oligarchen bekannt und bewusst, als deren politische Marionette er installiert und inszeniert wurde.
Deshalb rührt Selenskyj seit dem russischen Einmarsch (und eigentlich schon davor) auf internationaler Ebene die Kriegstrommel. Im EU-Parlament, im US-Kongress, im britischen Unterhaus, im deutschen Bundestag und zuletzt in der israelischen Knesset wird er per Videoschaltung auf den Bildschirm gebracht, wobei Selenskyj nicht nur mehr Sanktionen und mehr Waffenlieferungen oder sogar Kampfjets fordert, sondern auch das militärische Eingreifen der USA und der NATO – nichts anderes wäre die verlangte „Flugverbotszone“, die unweigerlich in einer direkten militärischen Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland enden müsste. Dass dies den Auftakt zu einem Weltkrieg bilden würde, kann sich jeder ausrechnen. Tatsächlich ist es das, worauf die ukrainische Regierung in ihrer verzweifelten Lage immer noch rechnet – und wenn nötig, lässt sich ja auch ein potenzieller Anlassfall geschickt auf und über die Bühne bringen.
Eine rationale Kapitulation kommt für Selenskyj hingegen nicht in Frage, denn dies wäre wenig heroisch und mit realisierten territorialen Verlusten verbunden: Der Eintritt der Krim in die Russische Föderation und die (vorläufige) Unabhängigkeit der Donbass-Republiken müssten anerkannt werden, auch die teilweise Demilitarisierung und ein offizieller Verzicht auf eine ukrainische NATO-Mitgliedschaft – die ohnedies immer unwahrscheinlich war – wären der Tribut. Eine Wiederwahl würde es für Selenskyj in der Restukraine dann wohl auch nicht mehr geben. Daher kann er kein Friedenspräsident sein, sondern muss ein Kriegspräsident bleiben, um jeden Preis. Bevor es zu einer Niederlage kommt, ist man eher bereit, die Ukraine, Europa und ggf. die Welt in Schutt und Asche zu legen, als eine schmerzvolle, aber letztlich vernünftige Entscheidung zugunsten der Menschen und der Menschheit zu treffen. Vor diesem Abgrund stehen wir: Selenskyj beschwört die finale, globale Schlacht zwischen „Gut“ und „Böse“, das endzeitliche Harmagedon der Welt. Selenskyj will den Weltkrieg, der angesichts der Nukleararsenale fatalste Folgen haben könnte.
Mitunter aber überspannt Selenskyj den Bogen, er kommt inzwischen vom Over-Acting zum Hasardieren. Wenig subtil richtet er westeuropäischen Regierungen aus, sie seien Feiglinge. Endgültig zu weit ging er bei seiner Videoansprache vor der Knesset in Jerusalem, der die Abgeordneten der Kommunistischen Partei Israels vorsorglich fernblieben: Selenskyj verglich die Russische Föderation mit Nazi-Deutschland, Putin mit Hitler und die Bedrohungslage für die ukrainische Bevölkerung mit dem Holocaust. Das war der israelischen Politik und den Medien denn doch zu viel ahistorischer Analogien sowie der Faschismus- und Shoa-Verharmlosung – die Empörung ist zurecht groß, und es spielt gar keine Rolle, ob Selenskyj auch jüdische Vorfahren hat, dass man in Kiew den historischen Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher Bandera heroisiert oder dass in der ukrainischen Armee explizite Neonazi-Bataillone aktiv sind.
Doch man kann es drehen und wenden, wie man will: Der russische Angriff auf die Ukraine und das Handeln von Wladimir Putin sind durchaus nicht zu rechtfertigen, obgleich das ukrainische Regime schon seit acht Jahren einen verbrecherischen Krieg gegen die – angeblich eigene – Bevölkerung des Donbass führt und ebenso lange die russischsprachige Bevölkerung der Ukraine mit Repressionen eindeckt. Ein imperialistischer Krieg bleibt ein imperialistischer Krieg, mit „Entnazifizierung“ und „Demilitarisierung“ hat er in seiner Gesamtheit wenig zu tun. Die einfachen Menschen Russlands und der Ukraine, die Arbeiterklasse, die Bauern und die Eigentumslosen, werden mittels medialer Inszenierung manipuliert und von den plutokratischen Regierungen ihrer kapitalistischen Staaten in ein blutiges Gemetzel geschickt, das dem imperialistischen Kampf um geostrategische Positionen, Einflusssphären, Ressourcen und Transportrouten entspringt. Wiederum dahinter steht der größere Konflikt um die regionale und letztlich globale Hegemonie im imperialistischen System, wo vordergründig Kiew und Moskau, aber in Wirklichkeit der USA/NATO-Block und das weniger institutionalisierte russisch-chinesische Zweckbündnis aufeinanderprallen. In dieser Auseinandersetzung haben die normalen Menschen ungeachtet ihrer jeweiligen Muttersprachen nichts zu gewinnen, sondern nur das Kapital, die politisch-ökonomischen „Eliten“ und die Reichen, die Rüstungskonzerne, die Militärs und die Oligarchen aller Seiten: Es ist deren Krieg, nicht einer der Völker – ein Krieg mit bürgerlich-kapitalistischem Klassencharakter.
Insofern kann die unmittelbare Zielsetzung nur der ehebaldigste Friedensschluss sein, nicht der kollektive „Heldentod“ fürs vermeintliche Vaterland, nicht die Ausweitung des militärischen Konflikts zum Welt- oder Atomkrieg – und das ist angesichts der verhärteten Fronten schwierig genug, denn man müsste die Herrschenden zum Frieden zwingen. Sie und ihr kapitalistisch-imperialistisches System bilden die wahre Wurzel des Krieges, egal welche ihrer politischen Handlanger gerade im Kreml, im Marienpalast und im Weißen Haus sitzen. Gegen sie müssen die Arbeiterklasse und die Völker der Welt die Waffen richten, um sie zu verjagen. Erst mit dem Kapitalismus fallen Imperialismus, Militarismus, Faschismus und Krieg. Eine nachhaltige Welt des Friedens und der Völkerfreundschaft wird nur auf sozialistischer Grundlage erreichbar sein. Im Drehbuch, das man Selenskyj ausgehändigt hat, steht davon freilich nichts, denn es ist das Skript einer Tragödie.