Ein bemanntes chinesisches Tiefseefahrzeug tauchte bis zum Grund des pazifischen Marianengrabens. Dabei geht es nicht nur um wissenschaftliche und technologische Aspekte, sondern auch um höchst politische.
Bikini Bottom. Ein chinesisches U‑Boot mit drei Wissenschaftlern an Bord unternahm am vergangenen Freitag einen Tauchgang in den bis zu 11.000 Meter tiefen Mariannengraben im Westpazifik. Bereits am 10. November hatte die „Fendouzhe“ eine Tiefe von 10.909 Metern erreicht, nun setzte das grün-weiß-rote Unterseeboot quasi auf dem Meeresboden auf, um mittels Greifarmen Materialproben einzusammeln – die Mission wurde per Livestream übertragen. Im Lichtkegel des Tiefseefahrzeuges konnten die chinesischen Forscher verschiedene Tierarten beobachten, die in absoluter Dunkelheit und unter erheblichem Wasserdruck leben (ca. 107 Megapascal) – über die ozeanische Fauna in diesem und ähnlichen Gräben weiß man bislang freilich recht wenig. Zuvor hatten in bemannten Missionen – mit Robotern war schon die UdSSR erfolgreich gewesen – lediglich der vom Schweizer Piccard konstruierte und in Italien hergestellte Batyskaph „Trieste“ (1960) ähnliche Tiefen erreicht, danach noch der Filmregisseur James Cameron („Terminator“, „Titanic“, „Avatar“) im Jahr 2012 sowie der Texaner Victor Vescovo mit der „DSV Limiting Factor“ im August 2019.
Marianen unter wechselnder imperialistischer Kontrolle
Der Marianengraben liegt etwa 2.000 Kilometer östlich der Philippinen. Mit einer Länge von ca. 2.400 Kilometern ist der halbkreisförmige Ozeangraben nicht nur überaus lang, sondern beinhaltet mit dem Witjastief, dem Challengertief und dem Triestetief die tiefsten Punkte der Weltmeere, elf Kilometer unter deren Oberfläche. Benannt wurde die Tiefseerinne nach der gleichnamigen Inselgruppe der Marianen, die von den spanischen Konquistadoren nach Königin Maria Anna von Österreich getauft worden waren. Nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 fiel der südliche Teil der Marianen mit der zentralen größeren Insel Guam an die USA, der Norden an Deutschland. Das letztgenannte Gebiet stand nach dem Ersten Weltkrieg mittels Völkerbundmandat unter japanischer Verwaltung, seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind alle Inseln mit den USA verbunden: Die Nördlichen Marianen sind ein teilautonomes nichtinkorporiertes Außengebiet der Vereinigten Staaten, Guam verblieb unter direkterer US-Kontrolle, zumal es von erheblicher militärischer Bedeutung ist: Die US Navy und die Air Force verfügen dort über wichtige Stützpunkte. Die austronesische ursprüngliche Bevölkerung hatte bei all den wechselnden kolonialen und imperialistischen Herrschern natürlich wenig mitzureden.
Territorialkonflikte im Westpazifik
Im Kontext der US-amerikanischen Militärbasen und der Territorialstreitigkeiten im Westpazifik ist zu erkennen, dass die nunmehrige chinesische Mission in den Marianengraben nicht nur wissenschaftlichen und Forschungszwecken diente. Auch die Darstellung der großen Fortschritte der Volksrepublik China im Bereich der Technologie ist nur ein Teilaspekt, denn es geht zweifelsfrei auch um politische Botschaften und Ansprüche auf Ozeangebiete. Im Jahr 2009 hatte US-Präsident George W. Bush den Marianengraben zum „nationalen Monument der USA“ erklärt, 2011 versuchte die Obama-Administration nachzuweisen, dass über unter der Meeresoberfläche verlaufende Gesteinsformationen eine Ausweitung ihrer Territorien rund um die Nördlichen Marianen und Guam zu rechtfertigen sei. Normalerweise gelten Hoheitsrechte nur bis zu 200 Seemeilen vor der Küste, in Washington strebt man freilich eine Verlängerung an. Diese Methode ist den Chinesen nicht unbekannt, sie wenden sie selbst in diversen Territorialkonflikten im Pazifik gegenüber Japan, Südkorea, den Philippinen, Malaysia, Indonesien und Vietnam an. Diese Fragen sind von ökonomischer, geopolitischer und militärischer Relevanz. Im Stadium des Monopolkapitalismus ist die Erde unter den Großmächten aufgeteilt – der Meeresgrund (noch) nicht. Mit der Mission im Marianengraben will China daher auch deutlich machen, dass der US-Imperialismus hier keine Ansprüche hat. Die Volksrepublik allerdings ebenso wenig.
Quelle: Der Standard