Wien. Kaum sind die Feiertage vorbei, steigt der Andrang bei der Schuldnerberatung. Was jedes Jahr als saisonales Phänomen erscheint, ist in Wahrheit Ausdruck eines strukturellen Problems und auch dem Druck, der durch Weihnachten, mit alle den bürgerlichen Idealen des Konsums auf die Menschen wirken. Immer mehr Werktätige geraten im Alltag des Kapitalismus in finanzielle Notlagen, die sie allein nicht mehr bewältigen können.
Die Schuldnerberatung Wien rechnet auch heuer wieder mit einem massiven Anstieg an Neuanmeldungen im ersten Quartal des kommenden Jahres. Zwischen Jänner und März melden sich monatlich bis zu 700 Menschen erstmals an – rund ein Drittel mehr als im restlichen Jahr. Mit dem neuen Jahr kommen Rechnungen, Mahnungen, Inkassoschreiben und Jahresabrechnungen für Energie, Versicherungen oder Fahrzeuge. Für viele Haushalte bedeutet das den endgültigen finanziellen Kipppunkt.
Weihnachten als Kostenfalle
Besonders deutlich zeigt sich die soziale Schieflage rund um die Weihnachtszeit. In einer Gesellschaft, in der Konsum zur sozialen Pflicht erklärt wird, geraten gerade Menschen mit niedrigen Einkommen zusätzlich unter Druck. Geschenke für Kinder, Familienfeiern oder notwendige Anschaffungen werden oft über Kontoüberzüge oder Ratenkäufe finanziert. Das Ergebnis: Schulden, die sich im Jänner brutal materialisieren.
Ratenzahlungen, insbesondere im Onlinehandel, erweisen sich dabei als Schuldenfalle. Mit wenigen Klicks werden Kredite abgeschlossen, deren reale Kosten im Kleingedruckten verborgen sind. Wer eine Rate nicht pünktlich bezahlt, landet schnell in einem Kreislauf aus Gebühren, Verzugszinsen und Inkasso. Dass Ratenkauf und Kontoüberzug zu den teuersten Kreditformen gehören, ist kein Zufall, sondern Geschäftsmodell. Der Handel profitiert, Banken und Zahlungsdienstleister verdienen mit – bezahlt wird von jenen, die ohnehin kaum über die Runden kommen.
Schulden sind kein individuelles Versagen
Die durchschnittliche Verschuldung der Klientinnen und Klienten der Wiener Schuldnerberatung liegt bei rund 55.000 Euro. Mehr als 12.000 Menschen werden betreut – Tendenz steigend. Diese Zahlen widerlegen einmal mehr die neoliberale Erzählung vom „individuellen Fehlverhalten“. Überschuldung ist kein moralisches Versagen, sondern das Resultat von unsicheren Arbeitsverhältnissen, stagnierenden oder sinkenden Reallöhnen, explodierenden Wohn- und Energiekosten sowie einer zunehmenden Prekarisierung breiter Teile der Arbeiterklasse.
Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die anhaltend hohe Inflation und steigende Arbeitslosigkeit werden sich zeitverzögert weiter verschärfen. Während Konzerne ihre Profite sichern oder ausbauen konnten, die Reichen immer reicher werden zahlen die Lohnabhängigen die Rechnung – Monat für Monat, Rechnung für Rechnung.
Schuldnerberatung lindert – löst aber nicht
Schuldnerberatungsstellen leisten wichtige und notwendige Arbeit. Sie helfen Menschen, den Überblick zurückzugewinnen und sich gegen die brutalsten Folgen der Verschuldung zu wehren. Doch sie können die Ursachen nicht beseitigen. Solange Grundbedürfnisse wie Wohnen, Energie oder Mobilität der Profitlogik unterworfen sind, wird Verschuldung für viele Menschen ein permanentes Risiko bleiben. Notwendig sind nicht nur Beratung und individuelle Hilfsangebote, sondern politische Antworten. Existenzsichernde Löhne und Pensionen, massive Preisregulierungen bei Energie und Mieten, der Ausbau öffentlicher Daseinsvorsorge und die Zurückdrängung des Finanzkapitals sind zentrale Voraussetzungen, um Überschuldung systematisch zu bekämpfen.
Quelle: ORF




















































































