497 Personen sollen seit 1945 im Erzbistum München und Freising von Bediensteten der katholischen Kirche missbraucht worden sein. Die Dunkelziffer ist wohl deutlich höher. Das Erzbistum hat die Fälle, so das Gutachten, jahrzehntelang nicht angemessen behandelt. Auch dem emeritierten Papst Benedikt XVI. wird Fehlverhalten vorgeworfen.
Am Donnerstag wurde eine neue Studie zu sexuellem Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising zwischen 1945 und 2019 veröffentlicht. Das von der Erzdiözese selbst in Auftrag gestellte und von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) bearbeitete Gutachten listet 497 Opfer auf. Davon sind 247 männlich, 182 weiblich und in den restlichen 68 Fällen ist eine Zuordnung nicht möglich. Unter den 235 genannten mutmaßlichen Tätern sind 173 Priester und neun Diakone. Vonseiten der Kanzlei heißt es, dass die Dunkelziffer der Missbrauchsfälle wohl deutlich größer sei. Das Dokument umfasst über 1700 Seiten und ist mittlerweile auf der Website der Münchner Kanzlei nachzulesen.
Vorwürfe gegen ehemaligen Papst Benedikt XVI.
Untersuchungsgegenstand war unter anderem auch die Zeit von 1977 bis 1982, in der Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., Erzbischof von München und Freising war. Die Studie kommt zum Fazit das man dem damaligen Erzbischof Ratzinger in vier Fällen Fehlverhalten vorwerfen müsse. Von besonderem Interesse ist dabei der Fall des Priesters Peter H. aus der Diözese Essen in Nordrhein-Westfalen. Er wurde im Jahr 1980 nach München versetzt, nachdem in seiner Heimatgemeinde sexueller Missbrauch von Kindern aktenkundig geworden war. In München sollte er eine Therapie machen. Doch noch im selben Jahr wurde der Priester erneut in der Seelsorge eingesetzt, wobei es wieder zu Übergriffen kam. Erst im Jahr 2010 wurde Peter H. aus der Seelsorge abgezogen und zurück in die Diözese Essen geschickt, wo er heute unter Auflagen lebt.
Der ehemalige Papst Benedikt hat auf 82 Seiten Stellung zu den Vorwürfen bezogen, diese jedoch weitestgehend zurückgewiesen. Der angesprochene Priester habe niemanden missbraucht, sondern sei „nur ein Exhibitionist gewesen“. In der Stellungnahme erklärt Ratzinger außerdem, dass er bei der Sitzung im Jahr 1980, in der es um Peter H. ging, gar nicht anwesend war. Die Anwälte der Kanzlei WSW weisen einerseits die Behauptung zurück, dass Peter H. keine Kinder missbraucht habe, außerdem konnten sie ein Protokoll der angesprochenen Ordinariatssitzung vorlegen, in welchem Wortmeldungen Ratzingers und somit seine Teilnahme dokumentiert sind. „Wir halten die Angaben des Papstes Benedikt für wenig glaubwürdig“, so Ulrich Wastl von der WSW.
Auch dem aktuellen Erzbischof der Diözese Kardinal Reinhard Marx wird formales Fehlverhalten in zwei Fällen vorgeworfen. Die Einladung zur Pressekonferenz, bei welcher die Rechtsanwälte ihr Gutachten präsentierten, hat er nicht wahrgenommen. In einer ersten Stellungnahme erklärte er lediglich, dass er „erschüttert und betroffen“ sei.
Staatsanwaltschaft München ermittelt
Die Staatsanwaltschaft München 1 untersucht derzeit 42 Fälle von Fehlverhalten kirchlicher Verantwortungsträger, die ihr 2021 von WSW zur Verfügung gestellt wurden. Diese Fälle umfassen ausschließlich noch lebende kirchliche Verantwortungsträger. Sie wurden stark anonymisiert übermittelt. Sollten sich im Laufe der Ermittlungen jedoch „Verdachtsmomente hinsichtlich eines möglicherweise strafrechtlich relevanten Verhaltens ergeben“, so wird die Staatsanwaltschaft die entsprechenden Unterlagen von WSW anfordern. Das bestätigte Anne Leiding, Sprecherin der Münchner Behörde, der deutschen Nachrichtenagentur dpa.
Quellen: tagesschau/Der Standard