Der Eigentümer der Söldnertruppe Wagner provoziert einen russischen Bürgerkrieg. Seine Narrenfreiheit dürfte damit zu Ende sein, der FSB hat ein Strafverfahren eingeleitet. Wie ernst die Lage ist, zeigt ein mitten in der Nacht veröffentlichtes Video des Armeegenerals Sergej Surovikin, in dem dieser die Wagner-Kommandeure auffordert, die Truppen zurück zu ihren Sammelpunkten zu bringen.
Moskau. Der milliardenschwere russische Oligarch und Eigentümer der privaten Söldnerfirma Wagner, Jewgeni Prigoschin, hält die Zeit für reif, einen offenen Aufstand gegen die russische (Militär-)Führung zu proben. Er, der sich erst in der ersten Phase des 2022 begonnenen russisch-ukrainischen Krieges öffentlich als Eigentümer des Unternehmens, das nicht nur in Russland, sondern auf der ganzen Welt – meist im Auftrag der russischen Regierung – tätig ist, zu erkennen gegeben hat, gibt sich schon länger als unerbittlicher Gegner der russischen Militärführung.
Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat nun allen Freiwilligenverbänden, zu denen er auch private Söldnerarmeen wie Wagner zählt, dazu aufgefordert, Verträge mit dem Verteidigungsministerium abzuschließen. Als Begründung wurde unter anderen angeführt, dass die Soldaten und ihre Familien dieselben sozialen Leistungen erhalten sollten, wie die offiziellen Streitkräfte der Russischen Föderation. Freilich geht es auch und wohl hauptsächlich darum, die Vielzahl an Privatarmeen einzufangen und unter die Disziplin der Behörden zu stellen. Während viele dieser Verbände – allen voran das in Russland weithin geachtete und in der Ukraine gefürchtete tschetschenische Freiwilligenbataillon Akhmat – solche Verträge unterschrieben, weigerte sich Prigoschin, sich dem Verteidigungsministerium unterzuordnen.
Schon lange wundert sich die russische Öffentlichkeit darüber, dass er schwerste Verdächtigungen und Beleidigungen gegen die Armeeführung verbreiten kann, und damit ungeschoren davonkommt. Kritische Äußerungen über die „Sonderoperation“ in der Ukraine werden normalerweise mit Verhaftung und Anklage geahndet. Nur der Söldnerchef hatte bisher offenbar Narrenfreiheit.
Prigoschin bestreitet Ziele des Ukrainefeldzugs und ruft zum bewaffneten Aufstand auf
In seinem Größenwahn hat Warlord Prigoschin nun wohl übers Ziel hinausgeschossen. Er behauptete nicht nur, dass die Gründe, die seitens der Russischen Föderation für den Einmarsch in der Ukraine angegeben wurden, wie etwa, dass ein Angriff der Ukraine auf den Donbass bevorstand, oder es um die Entnazifizierung und Entmilitarisierung des von der NATO de facto okkupierten Nachbarlandes gegangen sei, angegeben wurden, erfunden worden seien. Es ging seiner nunmehrigen Auffassung nach lediglich darum, einigen Leuten Ruhm, Ehre und Reichtum zu verschaffen. Im Februar 2022 unterstützte er übrigens alle Kriegsziele von Präsident Wladimir Putin voll und ganz.
Weiters behauptete er in einer Nachricht am 23. Juni, dass die russische Armee seine Heerlager beschossen habe, und es Tote und Verletzte unter seinen Söldnern gegeben habe. Von Verteidigungsminister Sergej Schoigu wurde diese Anschuldigung umgehend zurückgewiesen.
Strafverfahren wegen „Aufruf zum bewaffneten Aufstand“
Später am Abend drohte Prigoschin damit, „alle Straßensperren und Luftfahrzeuge“ des russischen Verteidigungsministeriums zu zerstören. Ihm zufolge wurde diese Entscheidung vom Kommandeursrat der Wagner PMC getroffen. Prigoschin betonte, dass jeder, der sich seiner bewaffneten Formation widersetze, als Bedrohung betrachtet und sofort vernichtet werde. Er riet dazu, sich den Söldnern der Truppe Wagner nicht in den Weg zu stellen.
Daraufhin eröffnete der Föderale Sicherheitsdienst der Russischen Föderation (FSB) ein Strafverfahren gegen Prigoschin wegen „Aufrufs zu einem bewaffneten Aufstand“. Gefordert wird die Einstellung „illegaler Handlungen“. Von einem Haftbefehl war bis spätabends keine Rede.
Ob die Narrenfreiheit des Warlords damit zu Ende ist oder ob es sich nur um eine weitere Episode seiner Kampagne gegen den Verteidigungsminister und die Armeeführung handelt, wird man sehen. Da es sich bei Wagners in die Zehntausende gehenden Söldnerarmee um gefährliche Profis handelt, ist es auch möglich, dass er einen Bürgerkrieg in Russland anzetteln will.
Mitten in der Nacht wandte sich der bei den Soldaten angeblich sehr beliebte Armeegeneral Sergej Surowikin alias „General Armageddon“ in einer Videobotschaft an die Kommandeure der Gruppe Wagner: „Bevor es zu spät ist, ist es notwendig, dem Willen und der Anordnung des vom Volk gewählten Präsidenten zu gehorchen. Stoppen Sie die Kolonnen und bringen Sie sie zu ihren permanenten Einsatzpunkten zurück“, sagte er. Surowikin war in der Schlacht um Bachmut (russisch: Artjomowsk) der direkte Ansprechpartner und Oberbefehlshaber der Gruppe Wagner in der russischen Armee, er ist auch der Stellvertreter von Generalstabsschef Walerij Gerassimov, den Prigoschin neben Verteidigungsminister Schoigu in den letzten Monaten immer wieder mit deftigen Worten und Beleidigungen attackierte.
Noch in der Nacht forderte der FSB die Offiziere und Soldaten der Gruppe Wagner auf, Prigoschins Befehlen nicht zu folgen, und ihn zu verhaften. In der Region Rostow am Don, wo Wagner-Kräfte angeblich auf russisches Staatsgebiet marschiert sind, wurde Polizei und Armee in Alarmbereitschaft versetzt, Autobahnen teilweise gesperrt. Angeblich haben die Wagner Söldner den Militärflugplatz von Rostow am Don besetzt.
Quellen: RIA-Novosti/Strana/Ura