Wien. Während die Realität auf dem Arbeitsmarkt von Alterdiskriminierung, Langzeitarbeitslosigkeit und gesundheitlicher Erschöpfung geprägt ist, träumt der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill, von einem Österreich, in dem Menschen bis 70 Jahre brav ihre Arbeitskraft verkaufen. Natürlich nicht nur im Büro – sondern auch auf der Baustelle, im Pflegeheim, in der Produktion. Denn Knill wünscht sich lautstark eine „ehrliche Diskussion“ über eine Pensionsreform.
Was dabei konsequent ausgeblendet wird: Der Arbeitsmarkt ist heute schon ein Minenfeld für Menschen über 50. Über ein Drittel der Langzeitarbeitslosen gehört dieser Altersgruppe an. Wer glaubt, dass diese Menschen einfach keine Lust mehr auf Arbeit haben, irrt gewaltig. Es sind vielmehr Unternehmen, die diese Menschen aussortieren, weil sie angeblich nicht mehr „flexibel“, „belastbar“ oder „anpassungsfähig“ genug sind. Oder einfacher gesagt: weil sie dem Profitstreben im Wege stehen.
Dass ausgerechnet Vertreter jener Klasse, die sich selbst gerne als „Leistungsträger“ feiern, aber in Wahrheit auf jahrzehntelanger Ausbeutung von Arbeitskraft ihre Renditen aufbauen, nun von „Ehrlichkeit“ sprechen, ist ein Hohn. Während Konzerne Dividenden ausschütten, Steuern vermeiden und die Arbeitsverdichtung immer weiter steigern, soll der arbeitende Teil der Bevölkerung auch noch bis zur physischen Erschöpfung schuften – und dabei möglichst ruhig und dankbar bleiben.
Die Forderung nach einer Anhebung des Pensionsantrittsalters ist nichts anderes als ein Klassenkampf von oben: Wer sein Leben lang in Pflege, auf dem Bau oder in der Produktion geschuftet hat, sind die perfiden Forderungen des Herrn Knill ein Schlag ins Gesicht. Für viele bedeutet jeder zusätzliche Arbeitsmonat ein weiteres Stück Gesundheit, das verloren geht. Jeder zusätzliche Arbeitsmonat erhöht das Risiko, die Pension gar nicht mehr zu erleben.
Die Realität zeigt: Schon heute geht jede vierte Person nicht gesund in Pension, sondern aus dem Krankenstand oder der Arbeitslosigkeit. Die Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters würde unter den bestehenden Bedingungen in erster Linie dazu führen, dass noch mehr Menschen in die Armutsfalle rutschen oder gar keine Pension erleben. Die Erhöhung des gesetzlichen Antrittsalters ist daher nicht Ausdruck einer „ehrlichen Debatte“, sondern Teil einer brutalen ökonomischen Logik, in der Menschen nur noch als verwertbare Ressourcen betrachtet werden – und mit 60 eben ein gesundheitlicher Sanierungsfall sind.
Und währenddessen wächst der Reichtum der oberen Zehntausend weiter – abgesichert durch Vermögensschonung, politische Einflussnahme und das Märchen vom demografischen Kollaps. Vielleicht wäre es ehrlicher, wenn Herr Knill offen sagen würde, was hinter all dem steckt: ein System, das Profite schützt und Menschen verschleißt.
Kapitalismus in Reinkultur: Wer nicht mehr funktioniert, ist überflüssig. Wer länger funktioniert, wird ausgebeutet bis zur letzten Schicht.
Quelle: vol.at