Hollabrunn. Der Tierquälereiskandal auf Gut Hardegg ist kein moralischer Ausrutscher und kein individuelles Fehlverhalten Einzelner, sondern ein Lehrbeispiel kapitalistischer Produktionslogik. Er zeigt, wie Ausbeutung organisiert, Gewalt normalisiert und Verantwortung systematisch nach unten weitergereicht wird – bis sie bei jenen landet, die am wenigsten Macht besitzen. Wer diesen Skandal verstehen will, darf nicht bei schockierenden Bildern stehen bleiben, sondern muss die Klassenverhältnisse analysieren, unter denen sie entstanden sind.
Nachdem der Verein gegen Tierfabriken (VGT) die Zustände öffentlich machte, reagierte der Eigentümer des Betriebs zunächst mit dem klassischen Reflex des Kapitals: Leugnung. Alles sei korrekt abgelaufen, man halte höchste Standards ein, die Vorwürfe seien überzogen oder manipulativ. Diese Phase ist ideologisch zentral: Solange der Profitfluss nicht ernsthaft gefährdet ist, wird jede Kritik als Angriff von außen delegitimiert. Der Betrieb präsentiert sich als Opfer „radikaler Aktivistinnen und Aktivisten“, nicht als Täter eines Systems permanenter Gewalt an Tieren.
Als diese Strategie scheiterte, folgte die Eskalation. Der VGT und Tierschützerinnen und Tierschützer wurden bedroht, eingeschüchtert, juristisch attackiert. Der Zweck war eindeutig: Abschreckung. Wer die Produktionsweise des Kapitals angreift, soll den Preis dafür bezahlen. Diese Gewalt ist keine emotionale Überreaktion einzelner Eigentümer, sondern Ausdruck struktureller Macht. Kapital verfügt nicht nur über Stallungen und Tiere, sondern über Anwälte, Medienkontakte und politischen Einfluss. Es verteidigt sich mit allen Mitteln.
Doch als auch diese Offensive den öffentlichen Druck nicht brechen konnte, vollzog sich der entscheidende ideologische Schwenk: Die Verantwortung wurde nach unten delegiert. Plötzlich waren es einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Fehler gemacht hätten. Sie hätten Vorschriften missachtet, Tiere falsch behandelt, die Missstände verursacht. Der Betriebsinhaber, der die Produktionsbedingungen festlegt und von der Ausbeutung profitiert, erklärte sich selbst zum Unwissenden. Das Kapital wäscht seine Hände in Unschuld, während es die Schuld auf jene ablädt, die ihm täglich ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, und natürlich wird den Arbeitern nicht von oben angeschafft, die Tiere zu quälen.
Aus marxistischer Perspektive ist diese Verschiebung jedoch kein Zufall, sondern Wesenskern kapitalistischer Herrschaft. Die Eigentümerklasse kontrolliert die Produktionsmittel und bestimmt die Bedingungen, unter denen gearbeitet wird: Zeitdruck, Personalmangel, Kostensenkung, maximale Verwertung von Körpern – tierischen wie menschlichen. Tierquälerei ist unter diesen Bedingungen kein Betriebsfehler, sondern funktional. Sie ist die logische Folge einer Produktion, die auf Profit und nicht auf Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet ist.
Die Lohnabhängigen hingegen stehen am Ende der Befehlskette. Sie arbeiten unter Bedingungen, die sie nicht gestalten können, und tragen dennoch die individuelle Schuld, wenn das System seine brutalsten Folgen zeigt. Genau hier greift die Klassenjustiz: Nicht das Kapital wird bestraft, sondern die Arbeit. Nicht die Entscheidungsträger, sondern die Ausführenden. Das Eigentum bleibt unantastbar, die Produktionsweise unangetastet, während einzelne Arbeiterinnen und Arbeiter geopfert werden, um das System zu stabilisieren.
Diese Logik ist altbekannt. Ob in Fabriken, Pflegeheimen oder Schlachthöfen – immer dann, wenn Ausbeutung sichtbar wird, werden „schwarze Schafe“ präsentiert. Die strukturelle Gewalt verschwindet hinter individuellen Schuldzuweisungen. So wird verhindert, dass die eigentliche Frage gestellt wird: Warum ist eine Produktionsweise überhaupt erlaubt, die systematisch Leid erzeugt?
Der Skandal auf Gut Hardegg entlarvt damit auch die ideologische Funktion von Verantwortung im Kapitalismus. Verantwortung ist kein Ausdruck realer Macht, sondern ein Instrument zu ihrer Verschleierung. Wer entscheidet, entzieht sich ihr. Wer ausführt, trägt sie. Diese Verkehrung ist notwendig, um ein System aufrechtzuerhalten, das ohne permanente Grenzüberschreitungen nicht funktionieren würde.
Für eine marxistische Tier- und Klassenpolitik kann die Konsequenz daher nur lauten: Der Kampf gegen Tierquälerei ist untrennbar mit dem Kampf gegen kapitalistische Produktionsverhältnisse verbunden. Es reicht nicht, einzelne Betriebe zu skandalisieren oder auf bessere Kontrollen zu hoffen. Solange Tiere Waren sind und Arbeit bloß Kostenfaktor, wird sich das Muster wiederholen.
Gleichzeitig darf Kritik an industrieller Tierhaltung nicht gegen die Lohnabhängigen gerichtet werden. Wer ernsthaft für Befreiung eintritt – für die der Tiere wie der Menschen –, muss das Kapital angreifen, nicht seine Opfer. Gut Hardegg zeigt: Nicht fehlende Moral ist das Problem, sondern ein System, in dem Profitmaximierung im Mittelpunkt steht und Verantwortung nach unten getreten wird.





















































































