Wien. Die österreichische Bundesregierung unternimmt zum fünften Mal den Versuch, das Grundrecht auf digitale Privatsphäre systematisch auszuhebeln. Unter dem Vorwand der Sicherheit soll die Überwachung verschlüsselter Kommunikation durchgesetzt werden – mithilfe staatlicher Spionagesoftware. Was wie ein technologischer Fortschritt im Sinne der Sicherheit verkauft wird, entpuppt sich als massiver Angriff auf Grundrechte, IT-Sicherheit und demokratische Kontrollmechanismen.
Staats-Trojaner im Dienst der Macht
Der Gesetzesentwurf zur Einführung der Messengerüberwachung sieht den Einsatz von Schadsoftware vor, um verschlüsselte Kommunikation auszulesen – ein technisches Vorhaben, das nur durch das Ausnutzen von Sicherheitslücken realisierbar ist. Diese Lücken betreffen nicht nur einzelne Zielpersonen, sondern sämtliche baugleichen Geräte. Statt IT-Systeme gegen kriminelle Angriffe zu schützen, werden sie durch den Staat selbst systematisch verwundbar gemacht. Der Datenschutzverein epicenter.works warnt daher zurecht vor einer Massengefährdung der gesamten Bevölkerung.
Die staatlich forcierte Schwächung digitaler Sicherheit ist mehr als nur ein Kollateralschaden. Sie stellt einen Klassenangriff dar: Auf die Lebensrealität aller, die sich keine eigene digitale Infrastruktur leisten können, sondern auf standardisierte Geräte und öffentliche Netzwerke angewiesen sind. Während wirtschaftliche Eliten über teure Sicherheitslösungen verfügen, soll der Rest der Bevölkerung für angebliche Sicherheit mit Überwachung und Verwundbarkeit bezahlen.
Kapitalinteressen statt Bürgerrechte
Statt eigenständig Technologien zu entwickeln, wird Österreich Überwachungssoftware zukaufen müssen – und zwar aus einem global agierenden Graumarkt, in dem Geheimdienste, autoritäre Regime und private Firmen gemeinsame Sache machen. Wer solche Trojaner einsetzt, fördert ein Geschäftsmodell, das auf dem Offenhalten von Sicherheitslücken beruht – also auf der gezielten Unsicherheit aller. Aus Steuergeldern würde damit ein Überwachungsmarkt finanziert, der längst außer Kontrolle geraten ist.
So wird Überwachung zur Ware – zum Investitionsfeld für eine Industrie, die ihre Profite aus der Zerstörung von Freiheit bezieht.
Demokratischer Anschein – autoritärer Kern
Begleitet wird der Gesetzesentwurf von einer Fassade demokratischer Kontrolle: Ein Rechtsschutzbeauftragter, ein Bundesverwaltungsgericht, ein parlamentarischer Unterausschuss. Doch schon bei oberflächlicher Prüfung zeigt sich: Diese Kontrollmechanismen sind zahnlos, ineffizient oder institutionell abhängig – etwa wenn der Rechtsschutzbeauftragte im Innenministerium sitzt, das selbst für die Überwachung zuständig ist.
Zudem ist technisch nicht sichergestellt, dass nur tatsächlich notwendige Daten erhoben werden. Es fehlt an einer revisionssicheren Protokollierung, die eine nachträgliche Kontrolle ermöglichen würde. Das Gesetz erlaubt die dauerhafte Verwanzung eines Geräts ohne Kontrolle darüber, ob das Programm entfernt oder deaktiviert wurde. Wer kontrolliert den Kontrolleur? Offensichtlich niemand – jedenfalls nicht unabhängig.
Gefährliche Präzedenzfälle
Schon jetzt zeigt sich anhand von Beispielen aus Spanien, Polen oder Griechenland, wozu derartige Überwachungstechnologien genutzt werden: zur Bespitzelung von Journalistinnen und Journalisten, Oppositionspolitikerinnen und ‑politiker sowie Aktivistinnen und Aktivisten. Auch in Österreich gibt es keine Garantie, dass es nicht zu einer solchen Zweckentfremdung kommt – zumal der Entwurf technische Filterung verspricht, die nach Expertenmeinung nicht umsetzbar ist.
Widerstand ist notwendig – und möglich
Zivilgesellschaftliche Initiativen wie epicenter.works leisten wichtigen Protest gegen dieses Gesetz. Dabei geht es ihnen nicht um naive Technikfeindlichkeit, sondern um ein entschiedenes Nein zum Überwachungsstaat und zur neoliberalen Sicherheitsideologie, die im Namen der „Gefahrenabwehr“ das Primat der Freiheit abschafft. Die Überwachung der digitalen Welt ist Ausdruck eines Kapitalismus, dem jedes Mittel recht ist, um Kontrolle zu sichern – auch wenn dafür bürgerliche Grundrechte geopfert werden müssen.
Quelle: ORF / Bundestrojaner.at