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Wissenschafter fordern Lösungen

Die Situation der Beschäftigten in der Wissenschaft findet gesellschaftlich wenig Beachtung. Diese hat sich in den letzten Jahren unter den Vorzeichen der unternehmerischen Hochschule verschlechtert und die Situation verschärft sich durch Corona weiter. Ein offener Brief macht nun dem Unmut Luft.

Die Vorgeschichte

Österreich. Die Corona-Epidemie betrifft die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche in unterschiedlicher Form. Während der öffentliche Dienst allgemein als sicher wahrgenommen wird und die Perspektive auf Universitäten in der Regel so ist, dass man denkt, dort herrscht keine Konkurrenz und kein Stress, sieht die Realität für die Mehrheit der dort Beschäftigten anders aus. Mit der Reform des Universitätsgesetzes hat Österreich zu Beginn der 2000er Jahre eines der unsichersten Beschäftigungssysteme in der Wissenschaft in ganz Europa eingeführt. Befristungen in unterschiedlicher Länge – von einem Monat bis maximal vier bis sechs Jahren – sind normal und folgen auch vielfach aufeinander. Aber nur bis zu einem bestimmten Punkt, dann greift die sogenannte Kettenvertragsregelungen und die Wissenschafterinnen und Wissenschafter müssen die Institution wechseln, sofern es nicht doch die von vielen sehnlichst erhoffte Entfristung gibt. Das ist jedoch nur in den allerseltensten Fällen möglich und ihre (Nicht-)Erteilung nicht immer sachlich begründet.

Dies setzt Nachwuchswissenschafterinnen und –wissenschafter massiv unter Druck. In der Fachliteratur wird davon gesprochen, dass sie ständigen Bewährungsproben ausgesetzt sind. Eine davon ist es, mit der Unsicherheit umgehen zu können. Nicht zu vergessen ist natürlich auch, dass Hochschulen sicherlich nicht der Platz sind, wo man reich wird. Vollzeitstellen gibt es an den meisten Lehr- und Foschungsstätten ohnehin erst ab dem Doktorat, aber All-in-Verträge und keine Möglichkeit zum Überstundenabbau sind üblich. Dies führt zu einem massiven Verschleiß bei den Nachwuchswissenschafterinnen und –wissenschaftern. Um dieses System, in dem das Herr-Knecht-Verhältnis stark ausgeprägt ist, zu ertragen, braucht man eine große innere Motivation und vielleicht auch ein wenig Masochismus. So viel als Vorbemerkung zur aktuellen Situation von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, nicht nur an Hochschulen, sondern mindestens genauso prekär auch in der Drittmittelforschung.

Corona verschärft die Situation

Die aktuellen Epidemieschutzmaßnahmen verschlechtern diese Lage weiter. Universitätsangestellte müssen unter massivem Mehraufwand die Lehre und Betreuung von Studierenden auf online-Kanäle umstellen, ohne dass dieser Mehraufwand anerkannt oder vergütet würde. Gleichzeitig lagen viele Forschungen auf Eis, da die Universitäten auch für die Beschäftigten geschlossen waren und somit Labore nicht genutzt werden konnten, Bibliotheken nicht verfügbar waren und nach wie vor nur eingeschränkt verfügbar sind. In den weit verbreiteten befristeten Beschäftigungsverhältnissen kann dies ein Problem darstellen, da die notwendigen Qualifizierungsarbeiten für eine darauffolgende Anstellung vielfach verzögert werden und Projektzeitpläne nicht eingehalten werden können. Die Nachwuchswissenschafterinnen und –wissenschafter haben sich deswegen mit einem offenen Brief an die Verantwortlichen gewandt, da ihre Situation, ähnlich wie die der Studierenden, bisweilen wenig Beachtung findet. 

Offener Brief macht Unmut Luft

In diesem offenen Brief wird festgehalten: „Neben dem eingeschränkten Zugang zu Forschungsinfrastruktur sind oftmals ungeeignete oder fehlende Arbeitsplätze im Homeoffice, psychische Belastung durch Isolation und die generelle Ungewissheit der nächsten Wochen und Monate nur ein paar der mannigfaltigen Herausforderungen. Jene von uns mit Betreuungspflichten, insbesondere Alleinerziehende, stellt diese Zeit dabei vor besondere Schwierigkeiten, wie eine Vielzahl an wissenschaftlichen und journalistischen Artikeln in den letzten Wochen gezeigt hat.

Des Weiteren ist es illusorisch zu denken, unsere Forschungsprojekte und Dissertationen könnten reibungslos fortgesetzt werden. Produktivitätseinbußen gehen dabei erwiesenermaßen vor allem auf Kosten von Wissenschaftlerinnen, wie beispielsweise erste Zahlen zu Artikeleinreichungen gezeigt haben.“

„Um den erfolgreichen Abschluss unserer Qualifizierungsarbeiten zu ermöglichen und unseren zentralen Beitrag zur Aufrechterhaltung und Umgestaltung des Lehrbetriebs in Zeiten der Corona-Krise anzuerkennen, fordern wir daher, dass gemeinsam mit den Betroffenen, egal ob diese im Rahmen eines Drittmittelprojekts oder des Globalbudgets angestellt sind, angemessene Lösungen entwickelt werden und sich diese in einem Maßnahmenkatalog widerspiegeln.“

Es werden bspw. Forderungen nach Verlängerung von befristeten Stellen entsprechend der Situation aufgestellt, eine Vergütung des Mehraufwands für alle Lehrenden durch die Aussetzung der vorlesungsfreien Zeit im Sommer gefordert. Außerdem eine unbürokratische, schnelle und rückwirkende Genehmigung von Sonderurlaub bei Betreuungspflichten für die gesamte Dauer der Schließung von Kindergärten und Schulen – denn Pflegearbeit dürfe nicht über unbezahlten oder regulären Urlaub geregelt werden, ebenso wie eine an den Notbetrieb angepasste betriebliche Gesundheitsförderung (z.B. psychosoziale Betreuung, die über arbeitspsychologische Beratungen hinaus gehen), um nur ein paar Punkte zu nennen. Unterschrieben wurde dieser Offene Brief (Stand 28. Mai 2020) von insgesamt 1.186 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern.

Individuallösungen?

Die Universitäten scheinen aktuell jedoch Individuallösungen vorzuziehen, statt einer Lösung, die für alle Betroffenen gilt, wie etwa ein neutrales Semester für Lehrende, Forschende und Studierende. Dies ist natürlich in der Logik des Kapitalismus einfacher, da die Vereinzelung Widerstand erschwert. Die Situation wirkt dann schicksalshaft oder ungerecht, aber der systematische und kollektive Charakter deutlich wird nicht deutlich und man wird somit eher ohn- als handlungsmächtig.

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