Ein neues bosnisches Gesetz, das der österreichische Statthalter Valentin Inzko erlassen hat, stellt Zweifel an der Einordnung des Massakers von Srebrenica als Völkermord unter Strafe.
Sarajevo. Der Kärntner Slowene Valentin Inzko gibt nach über zwölf Jahren seine Funktion als „Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina“ der Vereinten Nationen mit 31. Juli 2021 ab. Er fungierte quasi als westlicher „Statthalter“ in Sarajevo, einen Teil dieser Periode war er gleichzeitig EU-Sonderbeauftragter. Dass mit diesem Amt eine erhebliche politische Macht – und einiges an Verantwortung – verknüpft ist, stellte Inzko nun kurz vor seiner Ablösung unter Beweis, indem er mittels seiner Sonderbefugnisse ein neues Gesetz implementierte: Im bosnischen Strafgesetz wird es künftig eine Bestimmung geben, die die Leugnung des Völkermordes von Srebrenica verbietet und Zuwiderhandeln mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren bedenkt. Dieser autoritär-legislative „Abschiedsgruß“ Inzkos könnte sich für Bosnien-Herzegowina als Danaergeschenk erweisen, denn es birgt doch eine gewisse Problematik in sich.
Massaker an tausenden Bosniaken
Nun steht außer Zweifel, dass zwischen 11. und 19. Juli 1995, gegen Ende des Bosnienkrieges, in der und um die Kleinstadt Srebrenica ein furchtbares Massaker stattgefunden hat. Diese Ereignisse im Osten des Landes, nahe der Grenze zu Serbien, gelten als schlimmstes Kriegsverbrechen in Europa nach 1945. Etwa 8.000 Bosniaken, also bosnische Muslime, wurden damals von (para-)militärischen Einheiten der bosnischen Serben ermordet, im Anschluss wurden die Zivilisten in Massengräbern verscharrt. Zusätzlich empörend ist, dass dies alles quasi unter den Augen untätiger niederländischer UNO-Soldaten geschah. Soweit die Fakten – die Einordnung als Genozid ist jedoch nicht ganz unumstritten, v.a. nicht in Bosnien-Herzegowina.
Ebenfalls eine Tatsache ist, dass die UNO-Definition von Genozid bzw. Völkermord eine solche Einordnung der Ereignisse von Srebrenica zulässt, denn für diese spielen Zahlen keine Rolle, sondern die Absicht, einer – auch nur teilweisen – Zerstörung einer ethnischen oder religiösen Gruppe. Während der Internationale Gerichtshof der UNO in Abrede stellt, dass es während der Jugoslawienkriege seitens Serbiens generell einen Genozid in Bosnien oder Kroatien gegeben hätte (und auch die ethnische Säuberung der serbisch bewohnten Gebiete Kroatiens fällt nicht unter den Terminus), wird dies für Srebrenica bejaht – allerdings tatsächlich nur ganz punktuell, lediglich für den Ort Srebrenica im Juli 1995.
Gesetzesdekret mit Konfliktpotenzial
Es ist wenig überraschend, dass nicht jeder und jede dieser Betrachtung zustimmt. Gängige Gegenargumente lauten: Wie kann ein Völkermord nur in einer nicht allzu großen Gemeinde stattfinden, während dies für das gesamte Land nicht zutrifft? Können – so schlimm die Untat auch war – 8.000 Tote eines verbrecherischen Massakers angesichts einer muslimischen Mehrheitsbevölkerung Bosniens von über zwei Millionen Menschen wirklich schon als Genozid an dieser religiösen Bevölkerungsgruppe tituliert werden? Wie gesagt: Ja, diese Einordnung ist möglich nach geltender UN-Definition, und sie wird auch mehrheitlich akzeptiert. Aber natürlich ist es so – und Valentin Inzko weiß das ganz genau –, dass viele bosnische Serben (sowie serbische Staatsbürger) diese Einordnung nicht verstehen können, manche freilich auch nicht verstehen wollen. Und das ist das bewusst geschaffene Problem.
Diese Menschen stößt das neue Gesetz rüde vor den Kopf, sie werden per Statthalterdekret mit einer Haftstrafe bedroht, selbst wenn sie die Verbrechen von Srebrenica an sich keineswegs leugnen, sondern nur die Kategorisierung nicht nachvollziehen können. Letztlich gießt Inzko damit kurz vor Ende seiner Amtszeit nochmals Öl ins Feuer: Viele bosnische Serben werden das Gesetz als „antiserbisch“ wahrnehmen, während Bosniaken und bosnische Kroaten potenziell ein juristisches Druckmittel in die Hand bekommen. Es braucht nicht viel Einsicht in die komplizierten politischen Verhältnisse Bosnien-Herzegowinas, um zu erahnen, dass hier der zukünftigen Verständigung kein guter Dienst erwiesen, sondern der nächste Schritt in eine Konflikteskalation und eine mögliche Teilung Bosniens getätigt wurde.
Quelle: ORF