Am Mittwoch kenterte ein Boot im Ärmelkanal unweit von der nordfranzösischen Küstenstadt Calais. An Bord waren Geflüchtete, die auf diesem Weg versucht hatten, die englische Küste zu erreichen. Mindestens 27 von ihnen starben, darunter Frauen und Kinder.
Paris. London. Angesichts des Unglücks entbrannten gegenseitige Schuldzuweisungen der imperialistischen Staaten Frankreich und Großbritannien. Der britische Premierminister Boris Johnson meinte, Frankreich tue zu wenig, um illegale Überfahrten zur britischen Südküste zu verhindern. Er betonte, dass Großbritannien jährlich 62 Millionen Euro zahle, um die französischen Behörden zu unterstützen, die Geflüchteten von der Überfahrt abzuhalten. 2021 haben aber bereits zirka 26.000 Personen den Kanal illegal überquert. Seit 2014 sind bei solchen Überfahrten bereits 197 Menschen verstorben, 41 davon dieses Jahr. Frankreich wiederum sieht die Schuld bei Großbritannien. So forderte beispielsweise der Vizepräsident der Region Hauts-de-France, in der Calais liegt, Franck Dhersin die britischen Behörden dazu auf, härter gegen die illegalen Schleppernetzwerke vorzugehen, welche von England aus operieren und Hunderte Millionen Euro an den illegalen Überfahrten verdienen.
Gemeinsames Treffen abgesagt
Die gegenseitigen Schuldzuweisungen gingen so weit, dass Paris ein gemeinsames Treffen mit Vertretern aus Großbritannien, das eigentlich für Sonntag geplant gewesen wäre, absagte. Der französische Innenminister Gerald Darmanin begründete die Entscheidung damit, dass Johnson einen Brief an Emmanuel Macron veröffentlicht hatte, in dem er den französischen Präsidenten dazu aufforderte, Geflüchtete, die sich bereits in Großbritannien befinden, wieder nach Frankreich zu bringen. Stattdessen wird das Treffen nun mit den zuständigen Ministern aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Deutschland sowie Vertretern der EU-Kommission stattfinden, ohne britischer Beteiligung.
Einig sind sich die Staaten darin, dass man die illegalen Überfahrten stoppen möchte. Dabei will man vor allem auf stärkere Überwachung, mittels Patrouillen, Radar und Sensoren setzen. Die britische Innenministerin Priti Patel kündigte außerdem an, dass Geflüchtete, die illegal nach Großbritannien reisen, in Zukunft gar keinen Asylantrag mehr stellen dürfen. Damit würde das ohnehin schon strenge Einwanderungsgesetz Großbritanniens noch weiter verschärft werden.
Ernsthafte Lösungen nicht in Aussicht
Worüber die Vertreterinnen und Vertreter der europäischen Staaten derzeit nicht diskutieren, ist eine Maßnahme, die solche Unglücke in Zukunft tatsächlich verhindern würde: Nämlich die Schaffung eines legalen und sicheren Weges über den Ärmelkanal. Damit wäre eine illegale und gefährliche Überfahrt natürlich überflüssig, und den Schleppernetzwerken würde somit die Grundlage ihres Geschäfts zerstört werden. Außerdem wäre die Frage zu stellen, wieso die Bedingungen für Geflüchtete in Frankreich offensichtlich so miserabel sind, dass etliche einen derart gefährlichen Weg zur britischen Südküste wählen. Für ein Ende solcher und ähnlicher Unglücke wäre es wohl ebenso notwendig, dass Frankreich und Großbritannien erkennen, dass sie mit militärischen Auslandseinsätzen und der wirtschaftlichen Ausbeutung eines großen Teils der Erde dafür mitverantwortlich sind, dass Menschen überhaupt zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen werden.
Quelle: orf.at