Kommentar von Otto Bruckner, stellvertretender Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA).
Die katholische und auch die lutheranische Prüderie haben lange unser Land beherrscht und sie tun es teilweise heute noch. Den Kindern wurde nicht nur im Religionsunterricht, aber vor allem dort, ein vollkommen gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper anerzogen. Nacktsein sei etwas unanständiges, überhaupt wenn jemand anderes zuschaut. Ebenso – und das ist ja die theologische Lehrmeinung bis heute – wird den Kindern beigebracht, Sex diene nur der Fortpflanzung und habe nur zu diesem Zweck und nur im Rahmen einer kirchlich gesegneten Ehe zu erfolgen.
Die junge Arbeiterbewegung hat vor hundert Jahren und schon davor diesem reaktionären Stumpfsinn entgegengehalten. Mit Sexualaufklärung, mit der Schaffung von FKK-Bewegung, mit einem unverkrampften und offenen Umgang mit Körperlichkeit und Sexualität. Kommunistinnen und Kommunisten traten ebenso wie die frühe Sozialdemokratie der kirchlichen Prüderie entschieden entgegen. Ganz besonders engagiert waren dabei die Jugendverbände. Eine proletarische Frauenbewegung entstand rund um den Planeten, die auch in der Frage der sexuellen Befreiung klar Position bezog.
Finsterste Reaktion und Blut-und-Boden-Ideologie
Nach der Niederwerfung der Arbeiterbewegung durch den Austrofaschismus wurde ab 1933 wieder ein Zeitalter der finstersten katholischen Reaktion eingeleitet. Die Frauen hatten den traditionellen bäuerlichen und kleinbürgerlichen Rollenbildern zu folgen. Ohne katholischen Klimbim, dafür mit umso mehr Blut-und-Boden-Ideologie und Mutterkreuzorden für Frauen, die als Gebärmaschinen des germanischen Geschlechts zu dienen hatten, setzten die Nazi-Faschisten ab 1938 die Zurückdrängung der Frau an Heim und Herd massiv fort.
Erst mit Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre entstand eine neue Jugend‑, Kultur- und Frauenbewegung, die den reaktionären kirchlichen und politischen Sittenwächtern den Kampf ansagte. Diese Bewegung erreichte durchaus Fortschritte. Sexualaufklärung hielt Einzug in die Stundenpläne der Schulen. Von Dorfclubs bis zur Universität wurde über Emanzipation diskutiert und gestritten. Die Pfarrer und Bischöfe sahen ihre Felle dahinschwimmen. schließlich arrangierten sie sich mit der Scheinheiligkeit, wie so oft in der Kirchengeschichte. Niemand hält sich heutzutage an das voreheliche Sexualverbot oder auch an das Verbot der Verhütung, aber die offizielle Kirchendoktrin hält daran fest.
Kapital brauchte Kreisky
Es wurde mit der Zeit auch zur Normalität, dass Frauen in kurzen Röcken und mit knappen Tops bekleidet durch die Straßen liefen, und nicht selten bekam ein Rüpel oder Lüstling eine Ordentliche mit der Handtasche verpasst, nicht nur beim „Kottan“, sondern auch in der Wirklichkeit. Die Berufstätigkeit und damit die eigenständige – auch wirtschaftliche – Entwicklungsmöglichkeit der Frauen wurde mehr und mehr zur Realität. Das hatte aber auch damit zu tun, dass der boomende Kapitalismus die Frauen schlicht und einfach als Arbeitskäfte benötigte, etwa in der Akkordarbeit von Textilfabriken. Die SPÖ unter Kreisky war auch aus Sicht des Kapitals die richtige Regierungspartei zur richtigen Zeit. Denn der katholische Mief war nicht mehr zeitgemäß und die ÖVP als Hort des politischen Katholizismus zu einer Erneuerung der Gesellschaft nicht willens und in der Lage. Erst in den 1970ern wurde übrigens die Bestimmung abgeschafft, dass der Ehemann den Arbeitsvertrag der Frau unerschreiben musste. Das Machotum verschwand nicht, aber es bekam – zumindest in fortschrittlichen Kreisen – den Nimbus des verklemmten Muttersöhnchens.
FKK-Badebereiche entstanden, und es wurde ganz normal, dass Frauen in Freibädern „oben ohne“ gehen konnten, dies allerdings fast nur in den Städten und an den Stränden des guten alten Jugoslawien.
Alte Zöpfe der Reaktion feiern fröhliche Urständ
Die abgeschnitten geglaubten alten Zöpfe der Reaktion und der religiösen Verklemmtheit feiern heute fröhliche Urständ. Wer heute in ein Freibad geht, sieht kaum noch Frauen, die „oben ohne“ gehen. Das wird viele Gründe haben, unter anderem die Sexualisierung aller weiblichen Geschlechtsmerkmale durch die Pornoindustrie und ihre Wirkung auf einfältige junge Männer. Ebenso spielt das Wiedererstarken konservativer Werthaltungen – selbst in grünaffinen Bobokreisen – eine Rolle; so tragen die Bauern‑, Mittelstands- und Lehrerkinder aus dem ländlichen Raum in der Großstadt die konservative Ideologie ihrer Elternhäuser weiter, aber mit einem dem Zeitgeist angepassten alternativen Anstrich und vermischt mit allerlei esoterischem Unfug. Sie spinnen sich sozusagen ihre Privatreligionen zusammen.
Nicht zuletzt aber darf auch nicht über den Tugendterror selbsternannter islamistischer „Sittenwächter“ hinweggesehen werden, und über ihre Doppelmoral, denn auf der anderen Seite sind dieselben religiösen Eiferer dann Frauenbelästiger, sei es bei FKK-Stränden, im ganz normalen Freibad oder auch im öffentlichen Raum ganz generell. Die meisten Menschen glauben, die islamische Prüderie sei erst mit den Menschen aus Afghanistan oder Syrien hierhergekommen. Aber das stimmt nicht, sie war längst hier.