Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA), zu den neuen Corona-Maßnahmen der Bundesregierung
Die Bundesregierung wirft mit gestrigem Freitag ihren eigenen Corona-Stufenplan über den Haufen. Bei aktuell 356 Intensivpatienten tritt am kommenden Montag jene Stufe in Kraft, die eigentlich ab 500 vorgesehen war. Und dies bedeutet im Wesentlichen die Umsetzung der 2G-Regel im öffentlichen Leben, d.h. im Gastgewerbe, bei körpernahen Dienstleistungen, im Kulturbetrieb und bei Veranstaltungen aller Art (ab 26 Personen). Um einen „Lockdown für Ungeimpfte“ handelt es sich (noch) nicht, denn im Handel wird nur die FFP2-Maskenpflicht wieder eingeführt. Mit diesen Entscheidungen hat man sich offenbar von anderen Indikatoren als der ICU-Belegung leiten lassen, nämlich von den täglichen Infektionszahlen, die sich der 10.000-Marke nähern, sowie v.a. von der niedrigen Impfquote.
Bundeskanzler Schallenberg gestand bei der Pressekonferenz dementsprechend ein, dass man „die Zügel für die Ungeimpften straffer ziehen“ wolle. Darin offenbart sich ein mehrfaches Versagen der Politik auf Bundes- und Landesebene. Eine Regierung, die darauf angewiesen ist, mehr als einem Drittel der Bevölkerung – und das sind übrigens wesentlich mehr als die FPÖ-Wähler – mit repressiven Erpressungsmethoden zu begegnen, ist gescheitert. Die Aufgabe der Regierung wäre es gewesen, rechtzeitig und ausreichend sicheren Impfstoff für alle zu beschaffen und auf eine unbürokratische Weise anzubieten, die auf Aufklärung und Vertrauensbildung beruht. Stattdessen hat man gemeinsam mit der EU vieles verzögert bzw. verschleppen lassen, ohne die hoch subventionierten Pharmakonzerne ernsthaft in die Verantwortung zu nehmen, man hat falsche Versprechungen gemacht und gleichzeitig absurde Horrorszenarien angekündigt, bewusst irreführende Begrifflichkeiten verwendet und herumgepfuscht, Probleme kleingeredet, verfassungswidrige Maßnahmen implementiert und sich auch sonst – abseits der Pandemiepolitik – nicht gerade als Hort der Glaubwürdigkeit präsentiert. Das Ergebnis ist mangelndes Vertrauen vieler Menschen in die Regierung und deren Pandemiemanagement, in die Impfstoffe sowie in die etablierte Politik im Allgemeinen.
Dabei besteht kein Zweifel daran, dass die Impfung in aller Regel einen wertvollen persönlichen Schutz vor einem schweren CoViD-Krankheitsverlauf bietet. Daher ist es wünschenswert, wenn sich möglichst viele Menschen impfen lassen, sofern man ein positives Interesse gegenüber der Gesundheit dieser Menschen verfolgt. Im Falle der Bundesregierung kann man eine solche Einstellung jedoch tendenziell ausschließen, denn ihr geht es längst um etwas anderes: Sie hat von Anfang an eine „Pandemie-Politik“ betrieben, bei der sie die Verantwortung für das Infektionsgeschehen in den individuellen Bereich und in bestimmte Personengruppen abschiebt – schuld sind immer die anderen, die Unbedarften, die Unvorsichtigen, die Jungen, die Migranten, die Provinzler, die Bildungsfernen, die Dummen, kurz gesagt: die sozial Benachteiligten. Für die Regierung ist die Corona-Pandemie eine Pandemie des Pöbels. Und allerlei menschenfeindliche Besserwisser aus dem privilegierten, nicht zuletzt auch sozialdemokratischen und grünen Bereich können endlich ihre arroganten und ignoranten autoritären Phantasien ausleben: Die „Asozialen“ müssen eben gezwungen und mit maximalen Repressionen bedacht werden – womit man sich dann eh mit der ÖVP trifft, die zumindest indirekt auf eine nun zu erhöhende Impfquote setzt. Die Partei der Arbeit (PdA) hat in einer Stellungnahme zur Pandemiepolitik schon vor einiger Zeit festgehalten, dass sie eine allgemeine, direkte wie indirekte Impfpflicht ablehnt, ebenso wie Zugangsbeschränkungen, die über 2,5G hinausgehen, sofern PCR-Tests gratis, unkompliziert und flächendeckend zugänglich sind – die Argumente müssen hier nicht nochmals wiederholt werden.
Die Regierung verfolgt mit SPÖ- und NEOS-Unterstützung andere Ziele. Die ganze verlogene Heuchelei der neuen 2G-Regelungen erkennt man daran, dass am Arbeitsplatz weiterhin 3G (auslaufend) und sodann 2,5G gelten. An einem einfachen Beispiel erklärt: Eine ungeimpfte Kellnerin kann an einem Arbeitstag zehn Stunden lang durch ein vollbesetztes Lokal hetzen, um die Gäste zu bewirten; aber an ihrem freien Tag darf dieselbe Person dasselbe Lokal nicht betreten, nicht einmal, um in zehn Minuten einen kleinen Braunen runterzuschütten. Das ist auf den ersten Blick schlichtweg unlogisch, verfolgt jedoch durchaus eine Logik – und diese ist recht simpel und seit Pandemiebeginn gleich geblieben: Die Menschen werden im privaten Bereich und in der Freizeit eingeschränkt, aber arbeiten sollen möglichst alle weiterhin, denn man will ja nicht die Profite der Unternehmen gefährden. Hier zeigt sich deutlich: Dies ist keine Regelung, die auf die Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung abzielt, sondern eine, die der kapitalistischen Ausbeutung dient. Diese Unaufrichtigkeit setzt sich fort – und natürlich geht es mit den jetzt vorgezogenen Maßnahmen darum, doch noch irgendwie den für Österreich so wichtigen Wintertourismus, d.h. die Skisaison zu retten.
Was der größere „Plan“ der Regierung sein soll, sofern es einen solchen gibt, ist weniger deutlich zu erkennen. Vieles spricht dafür, dass man inzwischen zur Ansicht gekommen ist, die finale „Lösung“ der Pandemie könne nur ein endemisch Werden von SARS-CoV‑2 sein. Das bedeutet, dass eine „Durchseuchung“ stattfinden müsste: Einerseits mittels einer möglichst hohen Impfquote, wobei Impfdurchbrüche sogar einkalkuliert wären – besteht bei einer Impfung nur eine geringe Gefahr einer schweren Erkrankung, so ist eine Infektion hinnehmbar, bleibt zumeist ohnedies unentdeckt, aber wäre sogar besser immunisierend. Und der Rest der Bevölkerung möge es eben mit der ungehemmten Krankheit probieren. Im Prinzip wäre das quasi das „Ausstiegsszenario“ aus der Pandemie, das gegenwärtig wohl in der EU hinter verschlossenen Türen diskutiert wird, während man in China z.B. weiterhin den Weg einer Null-CoViD-Strategie und massiver Eindämmungsmaßnahmen verfolgt.
Dabei bleibt in Österreich und Europa freilich das Risiko der Überlastung der Gesundheitssysteme, der Krankenhäuser, insbesondere der Intensivstationen. Auch diese Argumentationsschiene wird weiterhin gerne als Druckmittel aller Art verwendet, um die Menschen zu verunsichern und schlimmstenfalls sogar gegeneinander aufzuhetzen, was auch funktioniert. Denn die Wahrheit spielt in dieser Frage keine Rolle: Es waren die Bundes- und Landesregierungen – mit Beteiligung aller Parlamentsparteien –, die seit Jahrzehnten das Gesundheitssystem kaputtgespart haben, die Krankenhäuser und Stationen geschlossen haben, die zu wenig Gesundheitspersonal bereitstellen, die zu wenige Ärzte und Ärztinnen ausbilden, die bei Geräten, Medikamenten und Behandlungen den Rotstift ansetzen. Warum? Weil ein öffentliches Gesundheitswesen eben etwas kostet und keinen Profit abwirft – und das ist das einzige kapitalistische Kriterium. Doch ein Krankenhaus und die Gesundheitskasse müssen keine Gewinne machen, sondern sie sollen die Gesundheit und das Überleben der Bevölkerung garantieren – koste es, was es wolle. Und die Kosten tragen sowieso die Steuerzahler und Beitragszahler als Kollektiv, ob sie nun geimpft, genesen, erkrankt oder gesund sind. Dass das österreichische Gesundheitssystem also für eine Pandemie nicht gewappnet ist, dass die Intensivkapazitäten nicht ausreichen sollen, um 500 Corona-Patienten aufzunehmen, ist nicht die Schuld der Bevölkerung. Es ist die Schuld der Regierungen – und diese wissen das auch ganz genau. Wichtig wäre, dass es auch die Bevölkerung weiß: Das Kapital und seine Regierungen haben uns mit voller Absicht in die gegenwärtige Lage gebracht. Sie sind es, die neben der Pandemie maximal zu bekämpfen wären.
Wir haben es nicht mit einer „Pandemie der Ungeimpften“ zu tun, auch nicht mit einer „Pandemie des Pöbels“ – es ist eine Pandemie der Herrschenden. Die Corona-Pandemie kann deshalb ihr volles Gefahrenpotenzial entfalten, weil sie eine Pandemie im Rahmen des Kapitalismus ist. Weil es die Regierungen über Jahrzehnte bewusst ermöglicht haben, dass es nun so weit kommt. Und für diesen eigenen Fehler lässt die Regierung die Bevölkerung so oder so teuer bezahlen.