Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)
Die australische Regierung hat also den serbischen Tennisprofi Novak Djokovic (richtiger wäre: Đoković) des Landes verwiesen und ihm somit die Teilnahme an den Australian Open 2022 verweigert. Der Grund ist die fehlende Corona-Impfung, der Djokovic bekanntermaßen nicht besonders aufgeschlossen gegenübersteht. Allerdings ist er mit einer Ausnahmeregelung nach Melbourne gereist – auf vorherige Vermittlung des Internationalen Tennisverbandes (ITF) sowie des Australischen Tennisverbandes. Die Regionalregierung des Bundesstaates Victoria bestätigte diese. Hierfür wiederum die Begründung: Djokovic ist genesen, da er Mitte Dezember 2021 infiziert war; oder sogar doppelt genesen, da er bereits im Juni 2020 erkrankt war.
Doch die australische Zentralregierung in Canberra und ihre Grenzbehörden halten nichts von 2G-Regeln – sie verlangten trotzdem eine Impfung. Die Gültigkeit von Djokovics Visum wurde aufgehoben und die Nr. 1 der Tenniswelt für die Abschiebung eingeteilt, garniert mit ein wenig juristischem Geplänkel, das letztlich zur erzwungenen Abreise aus Australien führte. Der zuständige Minister behauptete etwas schwammig, es lägen Gründe der Gesundheit, der allgemeinen Ordnung und im öffentlichen Interesse vor. Er berief sich auf den „Migration Act“ von 1958, womit Djokovic gleich für drei Jahre aus Australien verbannt wurde. Somit kann der Australian Open-Sieger von 2021 nicht nur seinen letztjährigen Titel nicht verteidigen, sondern das erste Grand Slam-Event des Jahres muss länger ohne den mit Abstand besten Tennisspieler der Welt auskommen. Für ein Turnier, das neben Wimbledon, Paris-Roland Garros und den US Open eines der vier wichtigsten überhaupt sein will, nicht gerade ein Qualitätsmerkmal – rein sportlich betrachtet. Doch um Sport geht es hier offenkundig nicht.
Man muss Novak Djokovic nicht mögen. Man kann die nunmehrige patriotische bis nationalistische Empörung in Serbien für übertrieben ansehen (außer in Österreich: Karl Schranz lässt grüßen). Man kann Djokovics Vorbehalte gegenüber der Corona-Impfung für falsch halten. Man kann seinen hinlänglich bekannten Hang zu Esoterik und „Naturmedizin“ ablehnen. Aber das ist alles seine Sache – nicht deshalb, weil er besonders reich ist oder weil er der weltbeste Tennisspieler ist, sondern weil er persönliche Rechte hat. Zu diesen gehört nach Stand der Dinge auch das Recht, sich nicht gegen eine CoViD-19-Erkrankung impfen zu lassen. Aber hat nicht auch der australische Staat das Recht, keine Ausländer einreisen zu lassen, die ungeimpft sind? Im Prinzip schon, und im Falle Australiens ist dies auch Bestandteil einer recht rigorosen Eindämmungspolitik.
Trotzdem sind die Begründungen der Regierung im Konkreten falsch und lächerlich: Djokovic ist schon grundsätzlich kein Infektionsrisiko für die australische Bevölkerung, da er genesen ist – gegen eine Omikron-Infektion ist er wohl sogar besser geschützt als geimpfte Personen. Und er ist weder ein Immigrant noch ein Tourist, der sich unter die Einheimischen mischt, sondern er wäre während des Turniers in einer abgeschotteten, täglich durchgetesteten Blase gewesen, ohne Kontakt zur „Außenwelt“. Inwiefern er eine Gefahr für Australiens öffentliche Gesundheit und Ordnung sein soll, bleibt ein Geheimnis der Regierung. Es liegt denn doch der Verdacht nahe, dass man hier ein billiges politisches Exempel mit Symbolkraft statuieren wollte, dessen Adressaten dann eher die australischen Normalbürger sind, wenngleich diese eben bislang noch nicht einer Impfpflicht unterworfen sind: Auch in Canberra setzt man auf repressiven Konformitätsdruck – und behübscht das fürs Publikum mit nationaler Souveränitätsbehauptung. Um Sport geht es hier nicht.
Sollte es aber. Die Australian Open sind, wie gesagt, eines der vier Grand Slam-Turniere. Die vergebenen Punkte für die ATP-Weltrangliste sind dementsprechend hoch, die Preisgelder natürlich auch. Djokovic wird von der australischen Regierung nicht nur gehindert, seinem Job nachzugehen, sondern auch daran, an einem bedeutenden Wettkampf teilzunehmen. Wenn der beste Spieler der Welt aus politischen Gründen an einem bestimmten Austragungsort nicht antreten darf, dann wird das entsprechende Event zur Farce. Wer auch immer die Australian Open 2022 gewinnen wird – er wird dies unter den Bedingungen einer erheblichen Wettbewerbsverfälschung tun. Das könnte sogar dazu führen, dass Djokovic durch die entgangenen Punkte sein Top-Ranking als Nr. 1 verliert – und an der Spitze der ATP-Weltrangliste stünde dann nicht mehr der beste Tennisspieler, sondern der beste geimpfte Spieler. Jeder Kollege/Konkurrent von Djokovic, der über ein wenig Rückgrat verfügt, sollte sich solch einer Verzerrung eigentlich verweigern.
Das sollte auch der Internationale Tennisverband ITF tun. Denn der Veranstalter der Australian Open ist nicht der Australische Tennisverband, geschweige denn die australische Regierung, sondern eben die ITF, ihrerseits auch Mitgliedsverband des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Es handelt sich nicht um ein australisches Turnier, sondern um ein internationales, das traditionell in Melbourne stattfindet. Und wenn in einem Land nicht garantiert werden kann, dass alle qualifizierten Athletinnen und Athleten an dem fraglichen Wettbewerb teilnehmen können und dürfen, dann wird diesem Land normalerweise die Ausrichtung entzogen. Internationale Sportverbände können natürlich nicht und dürfen keinesfalls die Entscheidungen einer staatlichen Exekutive und Legislative overrulen, aber sie haben die Pflicht, für faire Wettkämpfe unter objektiven Bedingungen zu sorgen, ohne dass politische Entscheidungen diese Events zu einer sportlichen Farce machen oder auch nur ein wenig entwerten.
Dafür gibt es auch Beispiele aus jüngerer Zeit: Die Team-WM im Squash hätte 2021 in Neuseeland stattfinden sollen, doch wäre dies unter der dortigen Pandemiepolitik nicht möglich gewesen. Daher verlegte man das Turnier nach Malaysia. Reicht ja schon als Exempel, aber damit nicht genug: Der internationale Verband sagte im Dezember 2021 auch die Austragung in Kuala Lumpur ab – nicht wegen Corona, sondern wegen politischen Problemen: Die malaysische Regierung verweigerte den israelischen Spielern das Einreisevisum. Die logische Konsequenz: Keine WM im Malaysia, denn alle qualifizierten Sportler – in diesem Fall übrigens gänzlich chancenlose – müssen teilnehmen können. Das Turnier wird nun 2022 an einem anderen Ort nachgetragen. – Ein anderes Beispiel ist die Fußball-Europameisterschaft 2020, die im Sommer 2021 stattfand: Aus Gründen der jeweiligen irischen bzw. baskischen Pandemiepolitik konnten die acht vorgesehenen Matches in Dublin und Bilbao nicht durchgeführt werden. Sie wurden stattdessen an London, St. Petersburg und Sevilla vergeben, was auch keinerlei besondere Aufregung verursachte.
Nun kann man zwar schwerlich die Australian Open auf einen anderen Kontinent auslagern, aber man müsste sie eigentlich aus dem ITF-Kalender streichen. Es gibt gewiss eine ganze Reihe von alternativen Austragungsorten, die ein Grand Slam-Turnier veranstalten könnten – es muss ja nicht gleich Belgrad sein, aber Peking, St. Petersburg oder Katar wären sicher möglich. Doch Spaß beiseite: Das wird natürlich nicht passieren. Trotzdem ist diese Überzeichnung geeignet darzustellen, was in sportpolitischer Hinsicht eigentlich in Australien geschehen ist – und objektiv nicht akzeptabel sein sollte, egal was man von Djokovic hält.
In den Medien und der Politik läuft es selbstverständlich ganz anders und gleichzeitig divergent. Die serbische Regierung betreibt rund um die Djokovic-Causa im Wesentlichen Wahlkampf mit Opfermythos und Nationalismus. Die traditionell antiserbischen Medien in der EU machen da gewissermaßen mit, aber halt am anderen Ende des kommunizierenden Gefäßes. Seitens Australiens und dessen Schutzmacht USA bestraft man vielleicht auch die allzu China- und Russland-freundliche Politik Belgrads, aber hierfür muss man schon ein wenig Verschwörungsbereitschaft aufbringen. Denn bei aller Symbolik ist Djokovic nur ein Tennisspieler.
Symbolisch taugt er jedoch auch als öffentliches Feindbild in der Pandemiepolitik und deren „Diskurs“, womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären. In Österreich gilt Djokovic noch für ein halbes Jahr als genesen und fällt somit unter die 2G-Immunisierten (für das ATP-Turnier in Kitzbühel geht sich das zwar nicht aus, aber dort wollte er wohl ohnedies nicht antreten). Die Häme, ja die Freude, die über seine Abschiebung aus Australien auch hierzulande vielerorts zu bemerken ist, zeugt von reichlich Niedertracht und Überheblichkeit. Dabei mag mitspielen, dass es nun einen Multimillionär und Superstar getroffen hat, der zum Opfer der entgleisten Pandemiepolitik geworden ist. Die einfache Bevölkerung leidet seit zwei Jahren unter Restriktionen, Individualisierung, Panikszenarien, finanziellen Einbußen, sozialer Ein- und Ausgrenzung, allgemeiner Unsicherheit sowie, nicht zu vergessen, einer Viruserkrankung, die allen physisch und psychisch viel abverlangt. Vielem davon konnte und kann sich Djokovic als privilegierter Mensch entziehen. Aber niemandem nützt es, wenn ein Profisportler mit einer willkürlichen und unsinnigen politischen Repression am anderen Ende der Welt bedacht wird – dadurch verkleinern sich unsere Probleme ja nicht.
Manch einer denkt vielleicht, der überbezahlte Tennisstar bedurfte ohnedies einer dringenden Erdung. Nur stimmt das so nicht: Djokovic kommt vielleicht mitunter weniger sympathisch rüber als Roger Federer oder Dominic Thiem, aber man darf schon auch wissen, was er abseits des Courts macht. Er hat Millionen Euro gespendet für allerlei karitative Zwecke, für australische Schulen für sozial Benachteiligte, für australische Flutopfer – und für Krankenhäuser, um deren Ausstattung zur Pandemiebekämpfung zu verbessern; nicht nur in Serbien, sondern z.B. auch im norditalienischen Bergamo, dem ersten Epizentrum der Corona-Pandemie in Europa. Aber es ist natürlich einfacher und auflagenstärker, medial einen serbischen Unsympathler und Querulanten zu inszenieren und zu verkaufen, nicht zuletzt in Österreich. Wir haben in Austria im Gegensatz zu Australien bekanntermaßen keine Kängurus, aber ein bisschen Hetze hupfen wir locker mit.