Kommentar eines Angestellten im Einzelhandel zum Kollektivvertragsabschluss der GPA und der WKO im Handel
Gestern haben sich Gewerkschafts- und Unternehmervertreter auf einen neuen Kollektivvertrag im Handel geeinigt. Wie jedes Jahr hatten die Unternehmervertreter über mehrere Runden kein ernstzunehmendes Angebot gemacht. In der ersten Runde wurde gar kein Angebot vorgelegt. In den beiden darauffolgenden Runden wurde eine Gehaltserhöhung von gerade einmal drei bzw. vier Prozent und eine Einmalzahlung von vier bzw. drei Prozent angeboten.
Die Gewerkschaft forderte eine Gehaltserhöhung von zehn Prozent und lehnte Einmalzahlungen zu Recht ab. Einmalzahlungen bedeuten nicht nur, dass im darauffolgenden Jahr nichts mehr davon übrig ist, sondern auch, dass der Anteil der Einmalzahlungen in jeder weiteren Gehaltserhöhung fehlt. Auf die Jahre gerechnet bedeuten diese einen Verlust von tausenden Euros für die Angestellten im Handel. Auf das lächerliche und geradezu freche Angebot der Unternehmervertreter reagierte die Gewerkschaft GPA mit Betriebsversammlungen und Mobilisierungen in den Betrieben. Vor zwei Wochen wurde außerdem zu Demonstrationen in Wien und Salzburg für einen KV-Abschluss von zehn Prozent mobilisiert.
Die Situation vor einem Jahr
Die Stimmung in den Betrieben war geladen. Seit mehr als einem Jahr steigen die Preise gegenüber den Löhnen ins Unermessliche. Nicht zuletzt, weil man im vergangenen Jahr einen Abschluss von durchschnittlich 2,8 Prozent hinnehmen musste. Zur Erinnerung: Die Preise steigen nicht erst seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Die Preissteigerung begann bereits im Jänner/Februar 2021 und im November 2021 waren der Miniwarenkorb bereits um 3,9 Prozent und die allgemeinen Preise um 4,3 Prozent gestiegen.
Bereits damals begann die Gewerkschaft mit Mobilisierungen in den Betrieben und hielt Betriebsversammlungen ab. Bereits damals wurden in den Betriebsversammlungen – ich war selbst bei einer dabei – Streiks diskutiert und die Kolleginnen und Kollegen auf einen Arbeitskampf eingeschworen. Geführt wurde er freilich nicht, stattdessen gab es einen überraschenden Abschluss von 2,8 Prozent. Von der Gewerkschaft wurde das Ganze selbstverständlich als Erfolg verkauft. Man dürfe ja nicht die Inflation der letzten Monate für die Lohnverhandlungen hernehmen, sondern müsse den Jahresdurchschnitt verwenden und mit dem von der Bundesregierung beschlossenen Lockdown wäre einem ja auch die Grundlage für einen Arbeitskampf genommen worden, musste man sich damals von Gewerkschaftsvertretern anhören.
Mobilisierung für 10 Prozent mehr Lohn
Heuer wurde wieder in den Betrieben mobilisiert, mit einer Lohnforderung von zehn Prozent. Die Inflation wurde, wie auch schon zuvor von der Produktionsgewerkschaft (PROGE) bei den Lohnverhandlungen der Metaller, als Jahresinflation von 6,3 Prozent in die zehnprozentige Forderung inkludiert. Dass die Inflation im Oktober 2022 auf elf Prozent geklettert war und im September bei 10,6 Prozent lag, wurde dabei ignoriert. Die zehn Prozent waren also eigentlich bereits zu niedrig gegriffen. Am vierten Verhandlungstermin nach den Demonstrationen vor 14 Tagen beharrten die Unternehmervertreter weiter auf Einmalzahlungen. Die Gewerkschaft ihrerseits reduzierte ihre Forderung von zehn Prozent auf 8,5 Prozent, zugleich drohte sie mit Warnstreiks. Die Verhandlungsrunde endete, wie wir wissen, ohne Ergebnis und Warnstreiks standen im Raum. Betriebsversammlungen wurden einberufen, Streikschulungen organisiert und Streikbeschlüsse in den Betriebsversammlungen gefasst. Obwohl die Gewerkschaft die Lohnforderung bereits auf 8,5 Prozent reduzierte, ist auf den Fotos der Betriebsversammlungen teilweise zu sehen, dass die Kolleginnen und Kollegen mit selbstgeschriebenen Schildern weiter die zehn Prozent forderten.
Streikbereitschaft war gegeben
An der Streikschulung der GPA in Tirol habe ich selbst teilgenommen. Mit den Kolleginnen und Kollegen bei mir in der Filiale habe ich über die Lohnverhandlungen diskutiert. Die älteren Kolleginnen meinten nur, dass die Gewerkschaft eh wieder einknicken würde. Trotzdem waren wir uns einig: Streik im Handel ist überfällig, die Unternehmer verarschen uns seit vielen Jahren. Das Personal wird immer weniger, aber auch wenn es mehr Menschen gäbe, die im Handel arbeiten wollen, müsste man sie erst einmal einstellen dürfen. Mehr als zehn Jahre im Einzelhandel zeigen nämlich eines: Dünne Personaldecken und Überstunden gehören zum System, und permanent wird Druck gemacht, dass man zu wenig Umsatz für zu viele Beschäftigte machen würde.
Nach der Streikschulung der Gewerkschaft gab es schon den ersten Dämpfer. Bei der Streikschulung wurde relativ klar, dass sich unsere Filiale trotz Streikbereitschaft aller Wahrscheinlichkeit an den möglichen Warnstreiks nicht beteiligen wird können, weil der Rechtsauffassung der GPA folgend ein Streikbeschluss ohne Betriebsversammlung einem „wilden Streik“ gleichkomme und von der Gewerkschaft nicht unterstützt würde. Eine Betriebsversammlung hätte der Betriebsrat einberufen müssen, das hat er aber nicht. Der Betriebsratsvorsitzende ist kein Gewerkschaftsmitglied und ist noch gelber als alle anderen fragwürdigen Betriebsräte und Funktionäre, mit denen ich bisher zu tun hatte. Erschwerend kommt im Handel hinzu, dass eine Filiale meist kein Betrieb ist und so ist es auch in unserem Fall.
Kampfmaßnahmen abgesagt
Am Ende ist es egal, ob der Betriebsrat den Streik unterstützt hätte oder nicht. Der Streik ist abgesagt. Nach den Streikbeschlüssen haben die Unternehmervertreter doch ein bisschen nachgegeben und verzichten zumindest auf eine Einmalzahlung. Die Gewerkschaft hat auch die 8,5 Prozent preisgegeben. Für die Beschäftigten heißt das sieben Prozent lineare Gehaltserhöhung und ein Mindestbetrag von 145 Euro. Durchschnittlich sind es laut Gewerkschaft 7,31 Prozent. Für viele meiner Kolleginnen Kollegen bedeutet das, dass sie nicht mehr als den Mindestbetrag bekommen und den selbstverständlich nur brutto. Die Lehrlingsentschädigungen steigen zwischen acht und 9,6 Prozent. Alles in allem wieder einmal ein Abschluss, mit dem die Kolleginnen und Kollegen sich auch weiterhin fragen werden, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen.
Das System dahinter
Diese Abschlüsse sind mitnichten auf ein Einknicken der Gewerkschaft gegenüber den Unternehmern zurückzuführen. Diese Abschlüsse haben System. Betriebsräte wie der bei mir im Betrieb, der noch nicht einmal Gewerkschaftsmitglied ist, sind nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen prangen die sozialdemokratischen Betriebskaiser und Gewerkschaftsfunktionäre, die von den Unternehmern als Partner angesehen und behandelt werden wollen, mit denen sie gemeinsam über das Schicksal der Lohnabhängigen verhandeln. Die Lohnabhängigen dürfen dabei auch mal ihren Frust äußern, solange es als nützlich erscheint, weil die Unternehmervertreter einen einfach nicht als Partner akzeptieren wollen. Wichtig ist aber, dass ja nichts aus dem Ruder läuft und die Angestellten sich selbst organisieren und ermächtigen. Nicht umsonst stützt sich die Gewerkschaft nur auf Betriebsräte und für einfache Mitglieder gibt es keine Möglichkeit auf die Politik der GPA oder des ÖGB Einfluss zu nehmen.
Ändern wird sich das erst, wenn wir uns selbst organisieren. In einem ersten Schritt heißt das, dass wir uns in Vorbereitung für nächstes Jahr über die eigene Filiale hinaus mit Kolleginnen und Kollegen vernetzen müssen, denn wenn mehrere Filialen ohne formal durch den Betriebsrat einberufene Betriebsversammlung streiken, dann können wir uns gegenseitig decken gegen mögliche Attacken aus dem Unternehmen. Mittel- bis langfristig heißt das aber auch, dass wir uns über das Unternehmen und den Handel hinaus eine organisatorische Struktur geben und für eine Reorganisation der Gewerkschaftsbewegung in Österreich eintreten müssen.