Den Haag. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat mit den Haftbefehlen gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Joav Galant jedenfalls ein Statement gesetzt. Die Vorwürfe sind erdrückend: gezielte Tötungen, das absichtliche Aushungern von Zivilistinnen und Zivilisten als Waffe und brutale Angriffe auf unbewaffnete Menschen. Doch die Reaktionen vieler westlicher Staaten entlarven eine schamlose Doppelmoral, die das Völkerrecht einmal mehr als Farce erscheinen lässt.
Die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen hat längst jedes Maß an Grausamkeit übertroffen. Zehntausende Tote, unzählige Verstümmelte, Millionen Vertriebene – in einem Gebiet, das von israelischen Bomben systematisch dem Erdboden gleichgemacht wird. Die Regierung Netanjahu rechtfertigt das mit „Selbstverteidigung“, doch in Wahrheit handelt es sich um einen Vernichtungskrieg. Zivile Opfer? Kollateralschäden! Lebensnotwendige Infrastruktur? Legitimes Ziel! Eine Armee, die keine Unterscheidung mehr zwischen Kämpfern und unschuldigen Zivilisten macht, zeigt, dass hier jede menschliche Hemmschwelle längst gefallen ist.
Und der Gazastreifen ist nur die Spitze des Eisbergs. Im Westjordanland, im Libanon und Syrien wird seit Monaten eskaliert, gezielt getötet und vertrieben. Die israelische Regierung verfolgt mit ihrer Politik nichts Geringeres als die ethnische Säuberung gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern. Besatzung, illegaler Landraub, der Bau immer neuer Siedlungen – das Ziel ist klar: Kein Platz für die palästinensische Bevölkerung. Ein Staat, der sich der systematischen Verdrängung und Auslöschung der Palästinenserinnen und Palästinensern bedient, wird im Westen trotzdem als demokratischer Leuchtturm verteidigt. Dabei ist es nichts weniger als Staatsterrorismus, der sich hinter scheinheiliger Rhetorik von Sicherheit und Selbstverteidigung versteckt.
Die Entscheidung des IStGH mag letztlich nur symbolischer Natur sein, doch sie offenbart, welche Maßstäbe westliche Staaten an das Völkerrecht setzen. US-Präsident Joe Biden bezeichnete die Entscheidung des IStGH als „Fehler“, Ungarns Viktor Orbán nannte die Entscheidung „absurd und schändlich“ und stellte klar, dass er den Haftbefehl nicht umsetzen würde, sollte Netanjahu ungarischen Boden betreten. Selbst innerhalb der Europäischen Union, die sich als ach so kühne Hüterin des internationalen Rechts inszeniert, gibt es Staaten wie Tschechien und Österreich, die Israel bedingungslos unterstützen. ÖVP-Außenminister Schallenberg nennt die Gerichtsentscheidung „abstrus“ und „unverständlich“ – er hält dem israelischen Besatzungs‑, Apartheid- und Genozid-Regime weiterhin prinzipienlos die Stange.
Eine friedliche Lösung für den Nahostkonflikt ist nur denkbar, wenn die grundlegenden Rechte der palästinensischen Bevölkerung anerkannt werden. Dazu gehört der sofortige Waffenstillstand, der Rückzug der israelischen Armee aus allen besetzten Gebieten, die Räumung illegaler Siedlungen und die Anerkennung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt. Diese Forderungen entsprechen dem Völkerrecht und zahlreichen UN-Resolutionen, werden aber von der israelischen Regierung und ihren Verbündeten konsequent ignoriert.
Die Ankündigung westlicher Staaten, die Haftbefehle des IStGH nicht umzusetzen, ist eine moralische Bankrotterklärung. Es zeigt, dass internationale Gerichtsbarkeit dort endet, wo westliche Interessen berührt werden. Wer mächtige Freunde hat, wird auch mit Kriegsverbrechen durchkommen.
Quelle: ORF